Dienstag, 20. November 2012

Ein Lichtblick


„Ein Mensch erblickt das Licht der Welt -
doch oft hat sich herausgestellt
nach manchem trüb verbrachten Jahr,
dass dies der einzige Lichtblick war.“
Eugen Roth

Letzte Woche gab es ein Tohuwabohu- holla die Waldfee. Ich habe nur rumgenöllt, dass ich so nicht arbeiten möchte und bereits an eine Alternativkarriere gedacht und Mrs. Smith war nur damit beschäftigt, mir zu versprechen, dass alles in naher Zukunft besser wird. Und es wurde. Nachdem wie Eltern und Schüler vorgeladen und Zitate von letzteren vorgelesen haben. Einfach mal Klartext reden! Das war ja eine Freude bei den Eltern! Die Luftspürnge wollten gar nicht enden. Ok... am nächsten Tag kamen sieben von 13 Leuten zu spät. Aber gut... immerhin waren sie alle da. Man soll ja versuchen, das Positive aus den Ereignissen zu flitern. So lautet die vorläufige Strategie.

Und siehe an, die Woche läuft gut bisher...Wir lächeln, freuen uns einander zu sehen und haben wie immer unseren Spaß. Diesmal wirklich.
"Önder, gestern hast du super mitgearbeitet. Bitte heute genauso weitermachen."
- "Ja? Was habe ich gestern auf Frage 2 geantwortet?"
"Wie auf Frage 2? Mein Gedächtnis ist auch begrenzt."
- "Ja, weil ich dacht, ich kann doch heut auch so antworten. Dann krieg ich auch Plus?"
"Heute gibt es natürlich andere Fragen..."
- "Wieso denn?" In diesem Moment kommt Efkan rein. Ohne Jacke. Mir wird schon beim Hinsehen kalt. Nafisa wohl auch.
- "Ey Efkan, bist du Alien oder was? Is der hässlich, läuft der ohne Jacke!" Efkan rollt mit den Augen und setzt sich auf seinen Platz.
"So Leute, ihr könnt an den Arbeitsblättern von letzter Stunde weiterarbeiten."
- "Ich kann nicht denken, ich schwör, wegen Schluckauf, dem Hurensohn. Was sollen wir machen?"
- "Boah Isabel, kannst du nicht hören? Sogar ich höre besser, wenn ich nicht höre!"
"Danke Mirko. Ihr sollt die Arbeitsblätter bearbeiten."
- "Können, Sollen oder Müssen?" Habe schon ganz vergessen, wo ich mich hier befinde...
"Natürlich müsst ihr! Auch du Jannes!"
- "Ich mach doch nicht vier Blätter in Deutsch! Das ist hier voll auf Gymnasium gemacht!"
"Dann nicht." Jannes guckt mich total irritiert an, ich habe heute keine Lust drauf. Bisher war alles fröhlich, versuchen wir die Stimmungen beizubehalten.

- "Mrs. Johnson, Sie waren doch auch mal Schule?!"
"Ja, ich bin auch mal zur Schule gegangen."
- "Welche Jahre so?"
"1986 bis 2000."
- "Wow, 12 Jahre Schule? Wie haben Sie das ausgehalten?"
"War nicht so schwer, auch wenn es 14 waren..."
- "Ah ja und wie waren Sie so?"
"Wir waren keine so nette Klasse..." Önder grinst bis über beide Ohren.
- "Jetzt wissen Sie, wie sich Ihre Lehrer gefühlt haben!" Oh ja, meine armen Lehrer.

Freitag, 16. November 2012

Penetrant und nervtötend

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„Ich würde alles Leben auf diesem Planeten vernichten, nur um nie wieder bruchrechnen zu müssen.“
Bart Simpson

Riesenstimmung haben wir da gerade. Die Kein-Bock-auf-gar-nichts-Stimmung.
Es gibt eine Aufgabe. In zwanzig Minuten muss jeder die Aufgabe erledigt haben. Leider kann man in den zwanzig Minuten auch eine Menge anderes Zeugs machen. Malen, spielen, sich unterhalten oder einfach nur die Lehrerin nerven. Oder auch die anderen Schüler, die vielleicht gerade in diesem Moment lernen wollen. Kommt auch vor.
- "Mrs. Johnson, ich hab so gedenkt..."
"Tatsächlich?"
- "Letztes Jahr hatten Sie auch so in diese Zeit Geburtstag? So November."
"Nein, letztes Jahr hatte ich im Dezember Geburtstag."
- "Hä? Habe ich doch nicht richtig überlegt?"
"Doch doch... Könntest du mir bloß  einen Gefallen tun und über Ethik nachdenken?" Ich lasse ihn mit Ethik allein.

Timm sitzt da und guckt in die Luft. Seinen Kopf stützt er mit seinem Arm und schaut unfassbar gelangweilt. Nicht mal einen Stift hat er ausgepackt. Alle möglichen Ordner und Bücher liegen über den ganzen Tisch verteilt.
"Timm?"
- "Was?"
"Machst du vielleicht auch mal was?"
- "Was?"
"Die musst die Fragen beantworten."
- "Gar nichts muss ich."
"Setz dich bitte ordentlich hin!"
- "Nee..."
"Timm! Jetzt!"
- "Wie sie übertreibt..." Ich entferne mich von Timm und gucke noch ein mal über die Schulter zurück. Er zerknüllt das aktuelle Arbeitsblatt und wirft es Richtung Mülleimer. Er trifft nicht.
"Du darfst aufstehen und das Blatt aufheben!"
- "Darf ich, ja?"
"Ja."
- "Nö." Ich setze den berühmten 'Todesblick' auf und hoffe, dass Timm aufsteht. Ich habe nämlich überhaupt keinen Nerv, mich jetzt mit ihm auseinanderzusetzen. Timm bleibt sitzen.
"Timm?"
- "Was wollen Sie denn?" Er nimmt einen Stift in die Hand. "Ich arbeite hier. Zuerst wollen Sie, dass wir arbeiten und jetzt darf ich nicht, oder was?" Wie bist du denn jetzt drauf?
"Sofort!"
- "Boaaah, ich dacht', ich wär' zu Hause. Schuldigung." Endlich steht er auf. Jetzt springen aber viele andere auf den Zug. Mirko zum Beispiel.
- "Aller Mrs. Johnson, was soll denn das bringen, dass ich das jetzt mache?" Auch hier weiß Timm eine Antwort.
- "Damit sie uns quälen können, Bruda." Genau das war meine Absicht, als ich mir die Fragen überlegt habe!
- "Und da sind so Fragen über den Betrieb, wo ich war. Ich darf die Fragen nicht beantworten. Weil ich darf doch keine Werbung für mein Betrieb machen." Natürlich kein Betrieb möchte, dass man Werbung für ihn macht. Die Kundschaft fällt vom Himmel. Superausrede.

Plötzlich kommt Mandy zu mir.
- "Uuuhhh, Mrs. Johnson. Stöckelschuhe unso? Elegant heute? Woher haben Sie? Ich will auch."

Nervtötend und penetrant eben. Man muss die Dinge beim Namen nennen.

Mittwoch, 14. November 2012

Saures oder gleich Schläge?


"Gewalt ist die Waffe des Schwachen."
Mahatma Gandhi

In der Pause begegne ich Fatih und Dejan.
- "Mrs. Johnson. Kann ich Sie was erzählen?"
"Klar. Was gibt's?"
- "Ich lauf gestern so bei mir vor die Tür. Und da sind diese Spasstenkinder in ihren hässlichen Kostümen. Sind die vielleicht irgendwie behindert? Halloween war doch schon, oder?"
"Wäre nett, wenn wir uns in einer zivilisierten Sprache unterhalten würden."
- "Hmmm..."
"Vielleicht gab es eine Nachfeier im Kindergarten oder sie wollten weiterfeiern? Aber ja, Halloween war schon."
- "Boah, wie die nerven."
"Bei mir haben vor zwei Wochen auch Kinder den ganzen Tag über geklingelt und wollten Gedichte aufsagen. Total niedlich. Nur hatte ich leider keine Süßigkeiten."
Bisher war Fatih leise, jetzt sagt auch er auch etwas zum Thema. Ich wünschte, er hätte es gelassen.
- "Walla, ich schwöre, diese Missgeburtenkinder. Ey, wenn die bei mir geklingelt hätten, ich hätte den direkt ein Box gegeben. Direkt in die Fresse. Walla!"
Ich bin sprachlos. Immer wieder eigentlich. Da ist so viel Aggressionspotential, das durch die Schule läuft... Bei dem Gedanken wird mir übel.

Überfälle in den öffentlichen Verkehrsmitteln, Alexanderplatz, Alltag in deutschen Schulen. Wann genau fangen wir an, etwas präventiv zu unternehmen??? Antiaggressionstrainings für alle. Und zwar, bevor etwas passiert. Sonst spart man sich - im wahrsten Sinne des Wortes - irgendwann tot. Bitte. Danke.

Dienstag, 13. November 2012

Happy birthday to me

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„Je älter man wird, desto mehr schätzt man die Kunst des konstruktiven Schweigens.“
Ezra Pound

Ich kann mir schöneres Feiern vorstellen, als sieben Stunden in der Schule zu haben. Mit einer Klasse, die gerade alles macht, nur nicht das, was man ihnen sagt. Aber Geburtstag schützt nicht vor dem Arbeiten, das muss man leider auch an seinem großen Tag. Also Augen zu und durch.
Ich stehe vor der Klasse und kontrolliere die Hausaufgaben. Neun Schüler ohne. Neun von 13. Die Planung der Stunde kann man wegschmeißen, theoretisch müssten die vier ohne Hausaufgaben, diese jetzt erledigen. Damit wir irgendwie mit dem Stoff vorankommen. Nur ein kleines bisschen. Aber was mache ich dann mit den vier, die alles gemacht haben? Man muss ja spontan und flexibel sein. Planänderung.
"Holt bitte alle das Buch raus, wir lesen weiter." Gejammer, Gestöhne. Kaum einer bewegt sich Richtung Tasche, um das Buch rauszuholen.
- "Ey, Mrs. Johnson. Ist dieser Wind Sandy eigentlich noch da?"
"Abdul, ich glaube, du hast jetzt eine Aufgabe?!"
- "Walla, können Sie nicht antworten?"
"Nein. Du hast doch eine A.U.F.G.A.B.E!"
- "Ich hab gehört, diese Wind is schlimmer als Atombombe..."
"Mirko, auch DU hast etwas zu tun." Ich werde ignoriert. Eiskalt. An meinem Geburtstag. Toll!
- "Atombombe is doch nicht schlimm. Ey stell dir vor, die fällt so auf einmal auf Schule!"
- "Was Schule? Wenn die hier explodiert, ist mies, ich bin dann Zuhause. Zuhause passiert mir ja nix." Ist ja eine Kleinigkeit, so eine Atombombe. Sind ja nur 2 m2, die dann betroffen sind.
"Abdul, noch einmal: ich hätte dich jetzt gerne in der ruhigen Variante." Er macht tatsächlich seinen Mund zu. Für 90 Sekunden.
- "Mrs. Johnson, wissen Sie? Ich habe so ein Mann, der is so Couseng, aber nicht so richtig Couseng. Aber der kommt oberoft zu uns. Also wir sind schon ein bisschen verwandt..."
"Was ist mit ihm?"
- "DER spielt bei AC Mailand!" Kann ich jetzt nicht einfach nach Hause gehen und Geschenke auspacken??
Jetzt gesellt sich auch Önder zu unserem Gespräch. Ist ja nicht so schlimm, dass er am anderen Ende von dem Raum sitzt. Gute Akustik und so.
- "Walla Abdul, bist du vielleicht ein bisschen krank behindert? Oder nur behindert? Brauchst du vielleicht Orthopädiker? Niemals spielt einer dem dein Verwandter bei Mailand!" Abdul steht auf, überquert den ganzen Raum und stellt sich vor Önder. Halloooo? Ich versuche hier Unterricht zu machen!
- "Wir sind nur bisschen verwandt. Ich schwör dir, der spielt da. Frag mein Vater!"
"Abdul kommst du bitte kurz mit raus?"
- Immer ich! Was hab ich gemacht? Ich hab nix gemacht!"
"Das habe ich auch nicht gesagt. Kannst du bitte kurz mit mir rauskommen." Ich flüstere kurz Mrs. Smith zu, dass ich jetzt eine neue Taktik ausprobiere und gehe mit Abdul vor die Tür. Mrs. Smith und ich verstehen uns blind. Uns beiden ist alles recht, was diese Klasse zum Lernen bewegt.
- "Rufen Sie jetzt bei mir an?"
"Hör zu, ich habe heute Geburtstag!" Abduls Augen werden gaaanz groß.
- "Ja ja????"
"Ja. Und ich wünsche mir zum Geburtstag, dass du die restlichen drei Stunden ruhig bist und dich mit den entsprechenden Manieren am Unterricht beteiligst?"
- "Walla, Mrs Johnson, ich kann nicht. Ich muss andere erzählen, Sie haben Geburtstag!"
"Nein, ich habe es nur dir erzählt."
- "Bitte Mrs. Johnson. Ich muss erzählen."
"Du darfst, wenn du dich ab jetzt benimmst und wenn, dann frühestens in der großen Pause."
- "Ich schwör, ich mach. Ab jetzt." Abdul geht wieder in die Klasse. Ich gehe ihm hinterher und bete, dass er meinen Geburtstagswunsch erfüllt. Er grinst über beide Ohren.
- "Ey, das ist so unfair. Sie gehen mit Abdul raus und lästern über uns!"
"Ja genau, Jannes. So ist es!"
- "Abdul, Abdul, was hat die gesagt?"
"Ich darf nix sagen und ich darf nicht stören." 90 Sekunden geht es gut. Dann geht es weiter wie vorher. Aber Abdul bleibt standhaft und verrät keinem unser Geheimnis. Erst mal.

Nach der Pause kommt Önder und singt ganz ganz ganz laut in mein Ohr:
- "Happy birthday to you, happy birthday to you, happy birthday Mrs. Jooooohnsoooon, happy birthday to you. Was geeeeeht, Mrs. Johnson?? Geburtstag unso? Wollen Sie für Sie und für uns erlösen machen? Können wir jetzt gehen? Sie können dann feiern, wir können chillen... Ist doch mieseste Geschäft! Das wäre so porno!"

Na dann, happy birthday to me.

Mittwoch, 31. Oktober 2012

Thema verfehlt

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"Wenn sich einer darüber beklagt, dass die Welt ihn verfehlt habe, so heißt das, dass er die Welt verfehlt hat."
Antoine de Saint-Exupéry

Mrs. Smith und ich spazieren voller freudiger Erwartungen in den Klassenraum. Heute ist ein großer Tag. Unsere Schüler müssen präsentieren, was sie im Praktikum gemacht haben. Önder steht bereits vor der Tafel.
- "Kann ich schon anfangen oder wollen Sie noch Ansage machen?"
"Wir würden euch gerne begrüßen und dann können wir anfangen."
- "Aber ich krieg doch Plus? Sie haben gesagt, ich krieg Plus. Bitte."
"Plus?"
- "Ja, weil ich doch zuerst mache und noch nie vor Klasse gespricht hab. Nicht mal Grundschule."
"Stimmt, so war das. Du hast noch nie vor einer Klasse gesprochen?!"
- "Mein ich doch." 

Wir begrüßen also alle und besprechen noch einmal, worauf es bei einem Vortrag ankommt.
Önder fängt also an... und hält ein wirklich gutes Referart. Mit Augenkontakt zu den Zuhörern und allem drum und dran. Echt gut.
"Önder, das war toll! Frei gesprochen, Zuhörer miteinbezogen und sehr interessant erzählt. Uns hat bloß die Gliederung gefehlt."
Önder schreitet auf uns zu und hält uns seine Zettelchen vor die Nase.
- "Aber ich hab doch hier alle Glieder!"
"Eine G.l.i.e.d.e.r.u.n.g, damit die Zuhörer wissen, wie es weiter geht und an welcher Stelle du dich momentan befindest."
- "Ohne Sinn, ich hab doch gesagt, worüber. Und nur deswegen krieg ich Note schlechter?"
"Nein, auch weil du keinerlei Anschauungsmaterial -wie besprochen- mitgebracht hast."
- "Aber ich wollt nicht so traurige Bilder mitbringen."
"Das haben wir auch besprochen. Es gibt auch nur Skizzen zu dem Thema. Wäre gut, wenn du solche mitgebracht hättest!"
- "Aber die Bilder sind übertrieben traurig. Was macht das für Sinn, wenn hier alle heulen?"
"Wir reden nicht von Fotos, sondern von einer Skizze, damit wir verstehen, wo sich was befindet.."

"So Nafisa, du bist jetzt dran."
- "Aber ich hab nix." Mrs. Smith und ich schauen uns fassunglos an. "Ähmmm... mehrere Wochen Zeit... ähhmm, alles besprochen?"
"Aha. Und warum nicht?"
- "Ich wusst doch nicht, was ich machen soll."
"Du bist ja auch zum letzten Beratungsgespräch nicht gekommen!" Ich spüre Nafisas Wut, ihr Gesicht wird rot.
- "Was kann ich dafür, wenn ich nicht Schule kommen kann??? Soll mein kleiner Bruda allein zu Hause sein oda was?"
"Wir hatten einen Termin vereinbart! Dann präsentiere doch wenigstens das, was wir vorher abgemacht haben. Irgendwas musst du doch haben."
- "Nein. Kein Bock." Mittlerweile redet die gesamte Klasse auf Nafisa ein. Eine schlechte Note, wäre doch besser als gar keine Note, jeder hat sich getraut, sogar Can...
Nafisa bleibt eisern, wir bleiben ohne Referat. Dann ist es ebenso.

Abduls Referat ist hervorragend. Er ist einer der ersten und prallt den ganzen übrigen Tag damit, dass er doch erst gestern angefangen und am Stück alles gemacht hat. Komisch, dass du mir bereits letzte Woche dein Plakat gezeigt hast... Abdul kommt mehrmals an den Lehrertisch und versucht in meine Notenliste reinzugucken.
- "Hab ich echt beste Note bekommen? Aber ich war doch schon der beste?!"
"Timm und Jannes waren auch sehr gut."
- "Aber ich war doch schon bisschen besser? Die haben doch große Minus bei der 1 und ich hab nur kleine, wa?"

"Antonio, jetzt du bist du dran."
- "Ich mach mieseste Referat. Ich hab mir so Mühe gegeben, ihr werdet gleich so neidisch sein." Antonio erzählt also von seinem Praktikum im Kindergarten. Das Plakat stimmt, über die Sprechweise kann man nicht meckern, nur am Thema ist er vorbeigeschlitten. Abgemacht wurde, dass er über eine Bastelaktivität mit den Kindern berichtet. Leider ist daraus Versteckenspielen geworden.
Nach dem Vortrag scheint Antonio zufrieden zu sein. Wir nicht wirklich. Ein anderes Thema war abgemacht. Punkt.
"Wie kommst du denn jetzt auf Verstecken?"
- "Ich dachte egal, is doch auch mit Kindern!"
"Du kannst doch nicht einfach das Thema ändern. Du solltest ein Bastelprojekt mit den Kindern entwickeln und dieses nach der Durchführung auswerten."
- "Übertreiben Sie doch! Hauptsache ich hab doch Plakat und guten Vortrag gemacht?!"
"Ja, es war ja auch gut. Aber du hast eindeutig das Thema verfehlt. Das ist in jeder Prüfung ein Grund durchzufallen!"
- "Was durchfallen? Aber mein Plakat war doch Bombe?"
"Jaaa, du musst dich doch an die Abmachung halten! Ich kann doch nicht irgendetwas prüfen, was nicht zum Thema gehört!" Die Klasse muss natürlich Antonio unterstützen. Wir hören uns an, wie unfair und dass wir "ohne Sinn" sind. Wir beenden die Diskussion, Thema verfehlt ist Thema verfehlt.

"Mandy, du bist jetzt dran."
- "Ich hab falsch."
"Wieso denn falsch?"
- "Mach doch. Du kriegst bestimmt bessere Note, als Antonio, auch wenn du kein Plakat hast. Hauptsache Thema nicht verfehlt."
"Danke Önder, aber nach deiner Meinung haben wir nun wirklich nicht gefragt." Antonio schmollt immer noch vor sich hin. Ist halt so.
- "Ja, aber gucken Sie. Efkan hat nur abgelesen und hat dieselbe Note wie Antonio bekommen. Voll der Scheißvortrag gewesen." Efkan kocht, ich kann es sehen.
"Dafür war seine Powerpoint Präsentation erste Klasse und er hat zu dem vereinbarten Thema referiert!"
- "Jaaa, aber alles abgelesen!!"
"Ok Leute, reicht jetzt. In der Abschlussprüfung besteht ihr auch nicht, wenn ihr das Thema verfehlt. Ist hart, ist aber so. Mandy, willst du oder nicht??"
- "Später vielleicht."
"Nix später. Jetzt oder gar nicht?"


Montag, 29. Oktober 2012

Minusgrade

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„Viel Kälte ist unter den Menschen, weil wir nicht wagen, uns so herzlich zu geben, wie wir sind.“
Albert Schweitzer

Ist schon ungewohnt kalt morgens, kann man nichts sagen. - 4°C ist nicht witzig, aber was soll's? Aufstehen muss man ja trotzdem. Das schöne warme Bettchen verlassen. Und wenn man schon mal draußen ist, ist das alles auch nicht sooo schlimm. Hell ist es auch schon, wenn man rausgeht. Lässt sich überleben. Wenn das bloß alle so sehen würden...
Auf dem Flur begegne ich Tuncer und Walmir, noch vor der ersten Stunde. Beide gehen wortlos an mir vorbei.
"Jungs, Ihr dürft ruhig 'Guten Morgen sagen!"
- "Abooou Mrs. Johnson, wissen Sie wie kalt es ist?"
"Hä?"

Im Klassenraum angekommen, sehe ich Önder, wie er gegen die Heizung schlägt.
"Önder! Was ist denn mit dir los?"
- "Walla, ich schwör Eiswüste hier. Wieso spart Herr Hausmeister? Kaputte Menschen." Abdul pflichtet ihm bei.
- "Schlimm, wa?"
"Önder, warum sitzt du überhaupt neben der Heizung?"
- "Weil mir kalt ist! Wieso sonst?"
"Nach der Sitzordnung sitzt du zwei Tische weiter!" Önder bewegt sich nicht.
"Önder, würdest du bitte auf deinen Platz gehen?" Önder steht auf, schmeßt fast seinen Stuhl um, bewegt sich dennoch zu seinem Platz. Immerhin.
Die Stunde hat begonnen, die Kälte scheint vergessen zu sein. Mittlerweile ist es so kuschelig im Raum, dass ich mich nach der kalten Luft sehne. Wir sind mitten im Unterricht. Plötzlich schreit Önder.
- "Ohne Sinn! Was das mit Sitzplan? Ich will auch nicht vorm Lehrer sitzen und mich fragt keiner!"
Ich gucke ihn mit dem "Todesblick" an.
- "Was denn?? Ich soll mich doch beteiligen. Dann sagen Sie: 'Uhhhh, Önder hat 45 Minuten nix gesagt!' Schlechte mündliche Note und so. Gelitten, ich sage nie wieder was!"
Ich drehe mich zu Mrs. Smith. Eigentlich muss man das filmen und dann Eintritt verlangen.
"Mrs. Smith, wollen wir ihm für diese Aussage eine 1 für die mündliche Leistung der Stunde geben?" Mrs. Smith lächelt.
Mirko hat die ganze Zeit auf die Gelegenheit gewartet. Jetzt ist sie da.
- "Guck mal Önder, die reden, als wären wir gar nicht im Raum!"
"Willkommen in unserer Welt!"
- "Hä? Welche Welt?"


Donnerstag, 25. Oktober 2012

Mal was aus der Praxis


„Theoretisch Marge, theoretisch funktioniert auch der Kommunismus!"
Homer Simpson

Was für ein Tag... was für eine Woche... was für eine andere Welt. Man denkt, man hat schon alles gesehen und gehört. Aber es gibt Sachen, die gibt es nicht... Situationen, bei denen ich so sprachlos bin, dass ich überhaupt nicht reagieren kann. Wie denn auch, ich habe sie ja auch noch nie erlebt. Ich kenne das so nicht. Mrs. Smith und ich sind leicht fertig. Wir stehen vor der Schule und genießen die frische Luft. Endlich Luft. Und unterhalten uns, wie unglaublich unsere Schüler sind. Zum Glück kann ich von "unseren" Schülern sprechen. Wenn ich alleine diese Klasse betreuen würde, wäre ich wahrscheinlich schon in Frührente. Jedenfalls merkt Mrs. Smith an, dass wir uns mal über nette Dinge des Lebens unterhalten müssten, nicht nur darüber, wie übel alles ist. Recht hat sie, aber wie soll man das bloß anstellen, wenn wir keine Ergebnisse sehen? Übel ist übel. Fertig. Aus. Das einzige was hilft, ist das alles mit Humor zu nehmen. Versuchen wir es... Aber zuvor müssen wir uns über die letzten 24 Stunden austauschen. Ah ja und jedem, der denkt, sowas kann nur Fiktion sein, kann ich nur sagen: Genauso war es.

Wir bestellen die Schüler in die Schule, um den Fortschritt für die größere Aufgabe zu kontrollieren, die sie nächste Woche abgeben müssen. Besser so, als wenn sie nächste Woche mit leeren Händen da stehen und eine 6 kassieren. Wir kennen das doch. Wenn man ihnen nicht hinterher rennt, kommt nichts. Kontrolle ist nicht nur besser, sie ist das Einzige, was wenigstens bisschen hilft.
Die ersten Absagen für diesen "Privatunterricht" kamen schon gestern. Es ist Bayram, ein Feiertag. Das wussten wir natürlich, aber keiner meldete sich eine Woche zuvor ab. So wie verlangt. Also gingen wir davon aus, dass wir heute alle Kiddies sprechen können.
Efkans Mutter meldet ihren Sohn für heute telefonisch ab. Seit wann muss man das schriftlich anmelden, fragt sie? Und dann auch noch eine Woche vorher?! Das hätte sie ja noch nie gemacht. Eben deswegen. Wir müssen doch wissen, mit wievielen Schülern wir rechnen können. Ab und an müssen auch wir planen.

Can meldet sich über Facebook. - "Mrs. Johnson, ich verstehe nicht, was ich machen soll mit Hausaufgaben. Wann kommen Sie mich besuchen, damit Sie es mir erklären können? Heute würde passen." Schön, dass es heute passt. Mir nicht. Diese Hin-und-her-Schreiberei geht mir auf die Nerven. Ich rufe ihn an.
- "Wenn du Fragen hast, kannst du gerne morgen in die Schule kommen."
- "Mrs. Johnson, morgen ist Bayram. Ich gehe nicht arbeiten. Und deswegen kann ich auch  nicht in die Schule kommen. Kann ich Freitag kommen?"
"Und wann hattest du vor, mir zu sagen, dass du morgen nicht kommst?"
- "Hä? Aber Sie wissen doch, ist Feiertag!"
"Du musst dich doch abmelden, wenn du nicht kommst! Es gibt auch Leute, die trotzdem arbeiten an dem Tag."
- "Aber wieso? F.E.I.E.R.T.A.G."
"Ist ja schön und gut. Andere Leute müssen dafür Urlaub nehmen! Du kannst gerne wegbleiben, aber sag doch bitte Bescheid!"
- "Hmmmm."

Abdul meldete sich ebenfalls gestern Abend. - "Mrs. Johnson, ganze Schule hat morgen frei. Nur wir müssen Praktikum." Natürlich, die ganze Schule hat frei- egal ob man feiert oder nicht. Nur du musst arbeiten, weil du Abdul heißt. Leider muss er mir doch heute zeigen, was er bisher gemacht hat. Das Ergebnis ist ernüchternd, der größte Teil wurde noch nicht malangefangen.
- "Man Mrs. Johnson, was regen Sie sich so auf? Locker mach ich das... Ich hab doch noch 3 Tage..."
"Ich rege mich auf, weil du in letzter Zeit echt abgebaut hast!"
- "Ah was, es gibt Schlimmere..." Ja, nach unten gibt es leider auch keine Grenze.

Melina wurde um 9. 30 Uhr bestellt. Um 9 Uhr bekommt Mrs. Smith einen Anruf.
- "Mrs. Smith, wo bleiben Sie? Ich bin schon hier."
"Wir sind doch erst in einer halben Stunde verabredet"
- "Ja, aber ich bin schon da. Können Sie sich beeilen? Bitte." Mrs. Smith beeilt sich tatsächlich. Als sie in der Schule ankommt, ist von Melina weit und breit nichts zu sehen. Um 9.40 Uhr erscheint sie. - "Ich wollt bisschen spazieren, Sie waren doch eh nicht da."

Önder ruft Mrs. Smith gleich dreimal an. Um 18:10, 19:15 und 20.05 Uhr.
- "Ich will nur Praktikum gehen, Schule komme ich nicht!" Warum er erst mal nicht kommen konnte, bleibt ein Rätsel. Es gibt nämlich drei Versionen. Pro Anruf eine Version.
1. - "Gäste kommen, ich muss helfen."
2. - "Gäste kommen doch nicht, aber ich kann auch nicht Schule kommen."
3. - "Gäste kommen nicht. Aber ich kann erst nachmittag kommen." Gebongt, dann komm eben am Nachmittag, sagt Mrs. Smith. Alleine für diese Terminvereinbarungen müssten wir Überstunden anmelden.

Mrs. Smith und ich sitzen also in der Schule und warten. Sie auf Önder und dann auf Jannes. Ich auf Mirko. Mirko stand fälschlicherweise schon heute früh vor der Schule und hat sich gewundert, wo ich bleibe... Der Schüler von heute, entscheidet eben selbst, wann er zur Schule kommt. Die Reihenfolge ist klar. Önder, Jannes und dann Mirko. Önder ist nicht da. Wir warten. Kein Önder. Dann SMS: Komme 10 Minuten später. Warten. Nichts. Irgendwann kommt Jannes. Pünktlich, gut gelaunt und vorbereitet. Önder kommt 45 Minuten zu spät zu seinem Termin. Er reißt die Tür auf. - "Was machtn Jannes hier? Hab ich nicht Termin?"
"Nein, jetzt ist Jannes dran. Wartest du bitte draußen?"
- "Ja, aber können Sie schnell machen? Ich muss gleich wieder weg." Nö, Mrs. Smith macht nicht schnell. Irgendwann ist auch Önder dran. Önder ist also da, seine Materialen aber nicht. Wir sehen nichts. Wir hören Ausreden. Wir haben noch ein Thema für später. Önder geht, nachdem wir ihm wieder einmal gesagt haben, was er nächste Woche abgeben muss.
Nur noch Einer heute. Mirko. Halbe Stunde nach dem eigentlichen Termin ist verstrichen.  Mirko ist nicht da. Sein Handy ist aus. Wir gehen jetzt. Reicht.

Mrs. Smith und ich stehen draußen und können uns nicht entscheiden, wessen Tag besser gelaufen ist. Ihr oder meins. Wir kommen zu keinem Ergebnis, nur dazu, dass wir uns mal auch über schöne Sachen unterhalten sollten.

Dienstag, 23. Oktober 2012

Die Würmer sind los!


"Wer sich zum Wurm macht, soll nicht klagen, wenn er getreten wird."

Immanuel Kant

Heute stand ich vor der Klasse und dachte, das macht mir so keinen Spaß mehr, ich will so nicht arbeiten. Vor allem will ich nicht weitere 35 Jahre so arbeiten. Da ist nicht nur ein Wurm drin, sondern mindestens 150 Würmer, böser, ekliger Würmer. Da kam eine ganze Wurmfamilie mit Tanten, Onkeln, Omas, Opas und Cousins und hat sich in den Köpfen meiner Schüler verbarrikadiert! Sie wollen nicht, komme was wolle. Unterricht nicht möglich, nicht mal das Schreiben einer Arbeit kann in Ruhe erfolgen. Immer dieses Gequatsche und die Bitten, endlich mal ruhig zu sein, weil es Leute gibt, die sich doch konzentrieren wollen, werden ignoriert. Es wird diskutiert, gemeckert, nach Fehlern bei Lehrern gesucht. Natürlich machen wir alles falsch und die Schüler alles richtig. Also ist schon wieder so ein Belehrungsgespräch angesagt. Wie ich diese Gespräche hasse, bringen sowieso nichts. Da das Reden aber das einzige Mittel ist, reden wir eben wieder.
- "Mrs. Johnson, haben wir heute sechs Stunden?"
"Auf deinem Stundeplan sind es am Dienstag sieben, oder?"
- "Jaaaa...."
"Dann stell auch nicht solche Frage."
- "Aber Sie haben letzte Woche gesagt, dass wir am Dienstag sechs Stunden haben!"
"Das war eine Ausnahme und genauso habe ich euch das auch gesagt!"
- "Neeeeein, Sie sagten, jeden Dienstag!" Ich breche die Diskussion an dieser Stelle ab.
"Dann fangen wir mal mit den Referaten an. Ihr solltet ja bis heute fertig werden." Die eine Hälfte schaut in die Luft, die andere zu Boden. Ich hab's geahnt.
- "Mrs. Johnson, ich schwör, ich hab's gemacht, aber zu Hause vergessen."
- "Kann ich aus'm Kopf machen?"
"Nein! Ihr solltet doch auch ein Plakat erstellen!"
- "Aber Can darf, ja?"
"Nein, auch er darf nicht!"
- "Sie haben gar nicht gesagt, dass wir präsentieren müssen..."
"Natürlich."
- "Ich dachte wir können noch mal an die Rechner und ich hab's nicht kopiert..."
"Ich sagte, ihr sollt das, was ihr hier gemacht habt, euch selbst schicken!"
- "Hä? Wie? Und wenn ich keine E-Mail-Adresse habe?" Schön, für alles Ausreden und nie ist man selbst schuld.

"So Leute, ich hätte gerne gewusst, wie ihr euch das Leben in den nächsten Jahren vorstellt?"
- "MSA, Abi, Studieren, Haus undso für Parties... So ein Partyhaus, wissen Sie?"
"Superwünsche sind es und wovon willst du dir das Haus kaufen, Jannes?"
- "Na, arbeiten..."
"Dafür müsst ihr doch mal anfangen zu lernen, Leute! Der MSA fällt doch nicht vom Himmel..."
- "Walla Mrs. Johnson, das ist schon bisschen unlogisch, was Sie da sagen. Was hat denn lernen mit MSA zu tun? Weil..."
"Ist diese Frage ernst gemeint, Önder?"
- "Walla, ja! Wie Sie mich unterbrechen. Immer sagen Sie so, lass mich ausreden, lass mich ausreden und selba??"
- "Aller Junge, bist du vielleicht irgendwie behindert? Natürlich musst du lernen, wenn du guten Abschluss haben willst? Die haben schon Recht, wenn Sie und das sagen!" Danke!
- "Ey Nafisa, du Hässliche, hat irgendjemand gesagt, 'red'?" Nafisa lässt sich diesen Ton natürlich nicht gefallen. Mittlerweile reden alle durcheinander, aber ich versuche mich auf Önder und Nafisa zu konzentrieren, damit es nicht zum Schlimmeren kommt.
- "Halt die Fresse, du Spasst!"
- "Halt du doch die Fresse! Ich schwör, wie die mich aufregt!" Zählt hier auch, was mich so alles aufregt? Eher nicht...
- "Wie redest du mit mir? Halt's Maul!"
- "Halt du doch das Maul!"
"Leute, es reicht! Schaffen wir es heute noch, ein menschliches Gespräch zu führen??"
- "Ja, können wir, aber darf ich noch was sagen?"
"Nur, wenn es zum Thema passt."
- "Nein, aber ich muss. Diese Arbeitsblatt in Deutsch. Wie dumm kann man sein, so ein Arbeitsblatt zu machen? Der hat sich verschrieben." Ich gucke hin, da ist tatsächlich ein Druckfehler. Passiert.
- "Wer das Blatt gemacht hat, soll vom Hochhaus springen. Direkt mit dem Kopf auf Beton. Wie kann man so dumm sein??" Wie kann man so etwas aggressives und gewaltverherrlichendes von sich geben?? Ich denke immer wieder, mich kann nichts mehr aus der Fassung bringen. Aber es geht doch. Wahnsinn.
Hier schaltet sich Isabel ein. - "Önder was redest du? Ohne Sinn..."
- "Dein Leben ist ohne Sinn." Die ganze Klasse pfeift und hetzt weiterhin.
- "Uuuuhhh, hat er dich gefickt." Meine zarten Ohren...

"Zurück, zu eurem Leben und eurem Abschluss!"
- "Jaaa und Sie müssen gar nix mehr lernen? Wissen schon alles oda was??"
"Mirko, ich habe meinen Abschluss schon! Du noch nicht, soweit ich informiert bin..."
- "Können Sie uns nicht beim MSA vorsagen?" Oh nein bitte, was redet ihr heute alle??
- "Ey willst du echt so ein unehrliche MSA? Dann lieber gar keins!"
- "Wieso?? Man kann doch auch Zeugnis in der Ukraine kaufen oder so?!"

Spaß ist was anderes.