Mittwoch, 21. März 2012

Voll unfair

„Das Leben ist ungerecht, aber denke daran: nicht immer zu deinen Ungunsten.“

John F. Kennedy

Die Hälfte der Klasse wartet vor der Tür auf mich. Und alle reden sie auf mich ein. Alle auf einmal.
- „Aller, Mrs. Johnson. Klassenbuch ist voll, wir können uns bald Auto leisten!“ (Wer keine Ahnung hat, worum es geht, kann hier nachgucken.)
- „Aber alles übertrieben unfair, gar nix gemacht! Und gleich Einträge!“
- „Ich mach nie wieder bei der Unterricht!“ Aha, und wie genau willst du das anstellen, ohne die Schule zu wechseln?
„Können wir zuerst den Test hinter uns bringen und dann über die ganzen Einträge reden?“
- „Scheiße, schreiben wir heute?“ Da hat jemand nicht aufgepasst, obwohl ich schon seit einer Woche über diesen Test rede.
Der Haufen löst sich also auf und alle begeben sich langsam zu ihren Plätzen. Insgeheim wünsche ich mir, dass die ganze Stunde für den Test in Anspruch genommen wird, damit ich mich nicht mit diesen ewigen „Wir-haben-nichts-gemacht-und-alle-tragen-uns-ein-und-jetzt-müssen-wir-zahlen-Beschwerden“ beschäftigen muss.

Während des Tests schaue ich natürlich, was die Schüler so treiben und sehe... Emre guckt so ziemlich auffällig in seine Federtasche. Eindeutig Spicker. Ich habe noch nie jemanden beim Spicken erwischt. Aber irgendwann ist ja bekanntlich immer das erste Mal. Und ich sage euch: für den Lehrer ist es mindestens genauso schlimm, wie für den Schüler. Für mich zumindest. Oh nein, warum musst du dich auch erwischen lassen? Was mache ich denn jetzt? Er soll noch nicht abgeben, die Stunde hat doch erst angefangen. Die Schüler sind aber auch superauffällig, spicken muss man auch können. Ich laufe also noch einmal durch die Klasse, bleibe hinter Emre stehen und sehe einen Zettel in seiner Federtasche. Einen Zettel mit vielen Begriffen aus dem Unterricht. Mist. Ich gehe also ganz nah an ihn ran und flüstere: „Pack den Spicker weg, sonst gibt es sofort eine 6!“ Er guckt mich total verblüfft an und macht wortlos seine Federtasche zu. Nach dem Test spreche ich ihn noch mal darauf an.
„Emre, zeig mal den Spicker. Ich wollte schon immer wissen, wie ihr einen Spicker gestaltet.“
- „Aber Mrs. Johnson, ich hatte gar keinen!“ Bis zuletzt nicht klein beigeben. Das haben wir ja gerne..
- „Mrs. Johnson, haben Sie denn nie gespickt??“ Ich überlege kurz, was ich antworten soll und entscheide mich für die Wahrheit.
„Wenn, dann habe ich mich nicht erwischen lassen!“
- „Uuhhh Profi! Wo haben Sie gelernt?“

Wie erwartet, sind alle früher mit dem Test fertig. Wir müssen uns also über die Klassenbucheinträge unterhalten.
„René, hier steht, du läufst während der Stunde durch die Klasse?!“
- „Ja! Aber was ist daran so schlimm? Gar nicht schlimm und die trägt mich ein!“
„Ihr wisst ganz genau, dass Aufstehen während der Stunde nicht erlaubt ist und Rumlaufen schon gar nicht! Natürlich wirst du dann ins Klassenbuch eingetragen!“
- „Aber wenn ich aufstehen muss??“ Ich weiß schon, warum ich diese Diskussionen vermeiden möchte...
„So. der nächste Eintrag. Can, warum singst du auf Türkisch im Unterricht?“
- „Tut mir leid. Soll ich lieber deutsche oder englische Lieder singen??“
„Du sollst überhaupt nicht singen!!“
- „Ah so.. Tschuldigung.“
„Ihr braucht euch wirklich nicht zu wundern!“
- „Mrs. Johnson, kann ich aufs Klo?“ Gülcan steht vor mir. Gerade haben wir vom Aufstehen und Rumlaufen in der Klasse während des Unterrichts gesprochen.
„Nein.“
- „Biiiiitte!!! Ist vooooll wichtig! Seien Sie ma nicht so unfair!“
„Hälst du es wirklich nicht mehr aus? In 10 Minuten ist doch schon die große Pause!“
- Jaa, ich weiß doch. Deswegen is ja wichtig! Gucken Sie, meine Haare. Ich muss Frisur machen, sonst kann ich nicht auf Hof gehen!“ Jaaaa, lebenswichtig!

1 Kommentar:

  1. Na wenigstens sind Sie menschlich u haben auch mal gespickt ;) V.

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