Dienstag, 15. Mai 2012

Optische Täuschung


“Bedauernswert ist das Volk, dessen Staatsmann ein Fuchs ist, dessen Philosoph ein Schwindler und dessen Kunst aus Nachahmung besteht.
Khalil Gibran

Mein Ziel heute: Immer ein Auge auf Dejan werfen und schauen, ob er tatsächlich etwas von seinem gestrigen Vorhaben verwirklicht hat. Wenigstens für eine Stunde. So wie ich Dejan einschätze, wird er sich von selbst in meinen Blick werfen, ich brauche mich da nicht extra zu bemühen.

“Wir fangen heute mit der Hausaufgabe an. Was habt ihr bei der Nummer 2 geschrieben?”
Dejan meldet sich und schreit dabei: - “Ich hab geschrieben.” Ich freue mich schon innerlich.
Abdul passt das Geschrei gar nicht. - “Aller Dejan, wieso meldest du dich und schreist dabei? Bist du Lehrer oder was??” Dieser Einwurf ist zwar theoretisch richtig, wird aber ignoriert, um der Sache nicht unnötig viel Aufmerksamkeit zu schenken.
“Dann erzähl mal Dejan, was du geschrieben hast.”
- “Ich habe geschrieben. Nichts.” Welch' Überraschung!
“Wenn du schon nichts hast, dann spar dir wenigstens den Auftritt.” Diese One-man-show braucht nun wirklich kein Mensch! Und klaut auch noch wertvolle Unterrichtszeit.
Einige Schüler haben die Hausaufgaben gemacht und tragen diese auch vor. Dejan spielt währenddessen mit einem Riesenanspitzer. Keine Ahnung, woher der plötzlich kommt.
“Nehmt bitte einen Marker in die Hand.”  Während alle anderen die Anweisung befolgen, sucht Dejan auffälig lange nach etwas in seiner Federtasche.
“Was ist los? Was suchst du?” Blöde Frage. Ich weiß genau, dass er etwas sucht, was er nicht finden wird. Er weiß es auch. Und schon wieder Schauspielerei. Unnötige Schauspielerei.
- “Scheiße, wo ist mein Marker?? Wissen Sie, immer wenn ich was brauche, is es zu Hause!” So ein Zufall aber auch!
“Tatsächlich?? Dann hast du keine andere Wahl, als die Schlüsselbegriffe mit deinem Kulli zu unterstreichen.” Nach 10 Minuten Arbeitszeit komme ich zu ihm und sehe, dass er in der Zeit absolut nichts gemacht hat.
“Hmmm, irgendwie sehe ich keine Markierungen?!”
- “Doooooch, ich hab markiert! Ich hab unsichtbar markiert.” Auch hier springt Abdul ein.
- “Der hat in seinem Kopf markiert!”
“In deinem Kopf oder unsichtbar! Fakt ist, du hast in der Stunde nichts gemacht!”
- “Dooooch. Man, Mrs. Johnson, sehen Sie nicht?? Das nennt man optische Täuschung!!” Kann man hier in der Nähe irgendwo Geduld kaufen??

Am Nachmittag geht es weiter mit Täuschungen. Eher Enttäuschungen.
Bei der Konferenz erfahren wir, dass der Senat Differenzierung in allen Fächern erwartet. Im Grunde genommen, nichts Neues. Aber, er erwartet es von den Schulen, weiß aber nicht so recht, wie das funktionieren soll. Also soll sich jedes Fachbereich ein schulinternes Curriculum ausdenken, wie er differenzieren möchte und dieses am besten bis gestern abgeben. Wenn dann der Senat alle Vorschläge gesammelt hat, wird er die Köpfe zusammenstecken und sich für ein Konzept entscheiden. Das wird wohl dann Vorgabe für alle Schulen sein. Sie machen es sich bisschen einfach, Sie da oben! Zuerst irgendwelche Vorgaben machen und nicht genau wissen, wie man diese umsetzt und dann sollen die Lehrer für nicht hausgemachten Probleme sich Lösungen ausdenken. Zusätzlich zu dem Alltagsgeschäft. Auch ein Sprachkonzept soll sich die Schule ausdenken. Wie man die Deutsche Sprache unter den Jugendlichen fördern könnte. Nicht nur ausdenken, sondern durchführen und evaluieren. Wenigstens haben wir dafür ein Jahr Zeit. Danke, sehr großzügig!

In diesem Fall lässt es sich bloß nicht mehr von einer ‘optischen’ Täuschung sprechen. Es ist so wie es ist. Wir werden getäuscht und enttäuscht. Jeden Tag aufs Neue.

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