Montag, 4. Juni 2012

Arbeiten? Todesanstrengend!


„Arbeit ist schwer, ist oft genug ein freudloses und mühseliges Stochern; aber n i c h t arbeiten - das ist die Hölle.“


Thomas Mann

Erster Tag Praktikum also. Ich habe schon ganz schlecht geschlafen und überlegt, wie das denn alles ablaufen wird. Am Freitag erklärten mir alle noch, ja natürlich kennen sie den Weg und ja natürlich, wird jeder pünktlich sein. Um 7.30 Uhr bekomme ich den ersten Anruf. Tuncer ist dran.
- "Aller Mrs. Johnson, tut mir übertrieben leid! Ich, also wir, sind falsche S-Bahn! Die ist behindert, die fährt einfach falsch!"
"Wie? Sie fährt falsch?"
- "Ja, andere Richtung und so. Aber ich hab gemerkt und wir sind ausgestiegen. Wegen Baba-King Tuncer sind wir jetzt richtige S-Bahn!"
"Lass mich noch mal zusammenfassen. Ihr seid in die falsche Richtung gefahren und jetzt ist die 'behinderte' S-Bahn dran schuld??"
- "Schuuu, Mrs. Johnson, übertreiben Sie ma nicht mit Ärger. Was kann ich dafür??"
"Ok, alles klar, wer ist noch mit dir?"
- "Bülent, Fatih und dann noch so 3 Mädchens. Wir sind in so zwei Stunden da."
"WAS??"
- "Spaaaß, 20 Minuten oder so." So hat er also angefangen, der Einblick in die Berufswelt. Wie kann man diese Jugendlichen bloß in diese Welt rauslassen??

Am Ende des Tages unterhalte ich mich draußen mit René und Dejan, die sich den Einzelhandel angeschaut haben.
"Na, wie war's?"
- "Scheiße."
René ist da anderer Meinung: - "Was redest du? War gar nicht scheiße. Wissen Sie, was ein Verkäufer alles wissen muss? Ich dachte, die müssen nix können, Preise stehen schon drauf. Aber die müssen übertrieben viel können. Beraten, verkaufen, einkaufen..."
"Dann habt ihr ja schon mal viel gelernt."
Dejan lässt seiner Unzufriedenheit freien Lauf. - "Der hat so erzählt, man muss irgendwas mit Spezialisierung kennen. So wie das Handy arbeitet und welche Funktionen das andere hat und so. Aber das stimmt doch gar nicht. Voll viele Verkäufer wissen gar nicht, woher der Brot kommt und so. Wenn man die fragt!"
- "Was genau möchtest du mir damit sagen???"
- " Is ja auch egal. Und die haben gefragt, warum alle Preise auf 99 Cent enden. Ich hab gesagt wegen Krise. Wir haben gerade übertrieben Krise. Aber die haben gesagt, irgendwas phylologisch oder so. Was reden die? Bei Mark war nicht so. Da waren nur ganze Preise. So eine Mark, zwei Mark..."
"Na klar, war das auch bei der Mark schon so, da bloß mit Pfenningen. Ah und außerdem, heißt es psychologisch."
- "Gaaar nicht!"
"Verzeih, du kannst dich bestimmt ganz genau an die DM-Preise erinnern!"
- "Wallah?? Glauben Sie mir nicht? Wieso glauben Sie mir nie?" Ich habe keine Lust mehr auf diese Unterhaltung und muss sie schleunigst beenden.
"Doch doch, natürlich glaube ich dir. Ich glaube dir immer und alles!" Die Ironie in meiner Stimme konnte Dejan wohl nicht überhören.
- "Aber echt, nur Dumme fallen auf diese 99Cent-Scheiße rein. Wieso fallen die da rein? Als ob 1 Cent Riesenunterschied macht!" Ok, das mit dem Beenden der Unterhaltung hat nicht ganz funktioniert...
"Das hat euer Ausbilder wohl auch mit dem psychologischen Effekt gemeint. Weil eine niedrigere Zahl vorne steht, z.B. 1,99 €, sieht man die 1 und realisiert nicht, dass es fast 2 € sind. Aber lass mich raten, genau so hast du es dir gedacht!"
- "Wie Sie mich dissen! Wieso können Lehrer immer so gut dissen?"
"Wir lernen das in der Uni. Es gibt ein Fach, das heißt 'Wie disse ich Schüler?'"
- "Echt??"
"Natürlich nicht."
- "Abouuuu!!!" Dejan möchte wohl nicht mehr mit mir reden, dafür aber René.

- "Mrs. Johnson, wissen Sie waaaas?? Der Mann hat noch erzählt, man kann fast überall handeln. Sogar beim Großkonzern Mercedes!" Wie kommst du denn jetzt auf das Wort 'Großkonzern' bitte? Sonst keinen Satz bilden können und plötzlich mit solchen Wörtern um sich schmeißen! In dem Moment kommt Fatih aus dem Gebäude. Wohlgemerkt, schweißgebadet.
- "Man kann gar nicht immer handeln. Kannst du Aldi handeln, oda was? Kannst du gaaar nicht. In Libanon, da kann man in jede Geschäft handeln! Mieses Land." Ja, wunderschönes Land, deswegen flüchten ja auch so viele von dort nach Deutschland.
"Fatih, schön dich zu sehen! Wie war der Tag für dich?"
- "Aller, Mrs. Johnson, Arbeiten is ja todesanstrengend!! Voll oft mit krass nervigen Menschen."
"Willkommen im Leben! Was meinst du, wie anstrengend es für mich ist, wenn ich dich mal 26 habe??"
- "Ey, Sie sind so ein Held. Respekt, Mrs. Johnson!" Endlich sagt das mal jemand!

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