Dienstag, 20. November 2012

Ein Lichtblick


„Ein Mensch erblickt das Licht der Welt -
doch oft hat sich herausgestellt
nach manchem trüb verbrachten Jahr,
dass dies der einzige Lichtblick war.“
Eugen Roth

Letzte Woche gab es ein Tohuwabohu- holla die Waldfee. Ich habe nur rumgenöllt, dass ich so nicht arbeiten möchte und bereits an eine Alternativkarriere gedacht und Mrs. Smith war nur damit beschäftigt, mir zu versprechen, dass alles in naher Zukunft besser wird. Und es wurde. Nachdem wie Eltern und Schüler vorgeladen und Zitate von letzteren vorgelesen haben. Einfach mal Klartext reden! Das war ja eine Freude bei den Eltern! Die Luftspürnge wollten gar nicht enden. Ok... am nächsten Tag kamen sieben von 13 Leuten zu spät. Aber gut... immerhin waren sie alle da. Man soll ja versuchen, das Positive aus den Ereignissen zu flitern. So lautet die vorläufige Strategie.

Und siehe an, die Woche läuft gut bisher...Wir lächeln, freuen uns einander zu sehen und haben wie immer unseren Spaß. Diesmal wirklich.
"Önder, gestern hast du super mitgearbeitet. Bitte heute genauso weitermachen."
- "Ja? Was habe ich gestern auf Frage 2 geantwortet?"
"Wie auf Frage 2? Mein Gedächtnis ist auch begrenzt."
- "Ja, weil ich dacht, ich kann doch heut auch so antworten. Dann krieg ich auch Plus?"
"Heute gibt es natürlich andere Fragen..."
- "Wieso denn?" In diesem Moment kommt Efkan rein. Ohne Jacke. Mir wird schon beim Hinsehen kalt. Nafisa wohl auch.
- "Ey Efkan, bist du Alien oder was? Is der hässlich, läuft der ohne Jacke!" Efkan rollt mit den Augen und setzt sich auf seinen Platz.
"So Leute, ihr könnt an den Arbeitsblättern von letzter Stunde weiterarbeiten."
- "Ich kann nicht denken, ich schwör, wegen Schluckauf, dem Hurensohn. Was sollen wir machen?"
- "Boah Isabel, kannst du nicht hören? Sogar ich höre besser, wenn ich nicht höre!"
"Danke Mirko. Ihr sollt die Arbeitsblätter bearbeiten."
- "Können, Sollen oder Müssen?" Habe schon ganz vergessen, wo ich mich hier befinde...
"Natürlich müsst ihr! Auch du Jannes!"
- "Ich mach doch nicht vier Blätter in Deutsch! Das ist hier voll auf Gymnasium gemacht!"
"Dann nicht." Jannes guckt mich total irritiert an, ich habe heute keine Lust drauf. Bisher war alles fröhlich, versuchen wir die Stimmungen beizubehalten.

- "Mrs. Johnson, Sie waren doch auch mal Schule?!"
"Ja, ich bin auch mal zur Schule gegangen."
- "Welche Jahre so?"
"1986 bis 2000."
- "Wow, 12 Jahre Schule? Wie haben Sie das ausgehalten?"
"War nicht so schwer, auch wenn es 14 waren..."
- "Ah ja und wie waren Sie so?"
"Wir waren keine so nette Klasse..." Önder grinst bis über beide Ohren.
- "Jetzt wissen Sie, wie sich Ihre Lehrer gefühlt haben!" Oh ja, meine armen Lehrer.

Freitag, 16. November 2012

Penetrant und nervtötend

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„Ich würde alles Leben auf diesem Planeten vernichten, nur um nie wieder bruchrechnen zu müssen.“
Bart Simpson

Riesenstimmung haben wir da gerade. Die Kein-Bock-auf-gar-nichts-Stimmung.
Es gibt eine Aufgabe. In zwanzig Minuten muss jeder die Aufgabe erledigt haben. Leider kann man in den zwanzig Minuten auch eine Menge anderes Zeugs machen. Malen, spielen, sich unterhalten oder einfach nur die Lehrerin nerven. Oder auch die anderen Schüler, die vielleicht gerade in diesem Moment lernen wollen. Kommt auch vor.
- "Mrs. Johnson, ich hab so gedenkt..."
"Tatsächlich?"
- "Letztes Jahr hatten Sie auch so in diese Zeit Geburtstag? So November."
"Nein, letztes Jahr hatte ich im Dezember Geburtstag."
- "Hä? Habe ich doch nicht richtig überlegt?"
"Doch doch... Könntest du mir bloß  einen Gefallen tun und über Ethik nachdenken?" Ich lasse ihn mit Ethik allein.

Timm sitzt da und guckt in die Luft. Seinen Kopf stützt er mit seinem Arm und schaut unfassbar gelangweilt. Nicht mal einen Stift hat er ausgepackt. Alle möglichen Ordner und Bücher liegen über den ganzen Tisch verteilt.
"Timm?"
- "Was?"
"Machst du vielleicht auch mal was?"
- "Was?"
"Die musst die Fragen beantworten."
- "Gar nichts muss ich."
"Setz dich bitte ordentlich hin!"
- "Nee..."
"Timm! Jetzt!"
- "Wie sie übertreibt..." Ich entferne mich von Timm und gucke noch ein mal über die Schulter zurück. Er zerknüllt das aktuelle Arbeitsblatt und wirft es Richtung Mülleimer. Er trifft nicht.
"Du darfst aufstehen und das Blatt aufheben!"
- "Darf ich, ja?"
"Ja."
- "Nö." Ich setze den berühmten 'Todesblick' auf und hoffe, dass Timm aufsteht. Ich habe nämlich überhaupt keinen Nerv, mich jetzt mit ihm auseinanderzusetzen. Timm bleibt sitzen.
"Timm?"
- "Was wollen Sie denn?" Er nimmt einen Stift in die Hand. "Ich arbeite hier. Zuerst wollen Sie, dass wir arbeiten und jetzt darf ich nicht, oder was?" Wie bist du denn jetzt drauf?
"Sofort!"
- "Boaaah, ich dacht', ich wär' zu Hause. Schuldigung." Endlich steht er auf. Jetzt springen aber viele andere auf den Zug. Mirko zum Beispiel.
- "Aller Mrs. Johnson, was soll denn das bringen, dass ich das jetzt mache?" Auch hier weiß Timm eine Antwort.
- "Damit sie uns quälen können, Bruda." Genau das war meine Absicht, als ich mir die Fragen überlegt habe!
- "Und da sind so Fragen über den Betrieb, wo ich war. Ich darf die Fragen nicht beantworten. Weil ich darf doch keine Werbung für mein Betrieb machen." Natürlich kein Betrieb möchte, dass man Werbung für ihn macht. Die Kundschaft fällt vom Himmel. Superausrede.

Plötzlich kommt Mandy zu mir.
- "Uuuhhh, Mrs. Johnson. Stöckelschuhe unso? Elegant heute? Woher haben Sie? Ich will auch."

Nervtötend und penetrant eben. Man muss die Dinge beim Namen nennen.

Mittwoch, 14. November 2012

Saures oder gleich Schläge?


"Gewalt ist die Waffe des Schwachen."
Mahatma Gandhi

In der Pause begegne ich Fatih und Dejan.
- "Mrs. Johnson. Kann ich Sie was erzählen?"
"Klar. Was gibt's?"
- "Ich lauf gestern so bei mir vor die Tür. Und da sind diese Spasstenkinder in ihren hässlichen Kostümen. Sind die vielleicht irgendwie behindert? Halloween war doch schon, oder?"
"Wäre nett, wenn wir uns in einer zivilisierten Sprache unterhalten würden."
- "Hmmm..."
"Vielleicht gab es eine Nachfeier im Kindergarten oder sie wollten weiterfeiern? Aber ja, Halloween war schon."
- "Boah, wie die nerven."
"Bei mir haben vor zwei Wochen auch Kinder den ganzen Tag über geklingelt und wollten Gedichte aufsagen. Total niedlich. Nur hatte ich leider keine Süßigkeiten."
Bisher war Fatih leise, jetzt sagt auch er auch etwas zum Thema. Ich wünschte, er hätte es gelassen.
- "Walla, ich schwöre, diese Missgeburtenkinder. Ey, wenn die bei mir geklingelt hätten, ich hätte den direkt ein Box gegeben. Direkt in die Fresse. Walla!"
Ich bin sprachlos. Immer wieder eigentlich. Da ist so viel Aggressionspotential, das durch die Schule läuft... Bei dem Gedanken wird mir übel.

Überfälle in den öffentlichen Verkehrsmitteln, Alexanderplatz, Alltag in deutschen Schulen. Wann genau fangen wir an, etwas präventiv zu unternehmen??? Antiaggressionstrainings für alle. Und zwar, bevor etwas passiert. Sonst spart man sich - im wahrsten Sinne des Wortes - irgendwann tot. Bitte. Danke.

Dienstag, 13. November 2012

Happy birthday to me

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„Je älter man wird, desto mehr schätzt man die Kunst des konstruktiven Schweigens.“
Ezra Pound

Ich kann mir schöneres Feiern vorstellen, als sieben Stunden in der Schule zu haben. Mit einer Klasse, die gerade alles macht, nur nicht das, was man ihnen sagt. Aber Geburtstag schützt nicht vor dem Arbeiten, das muss man leider auch an seinem großen Tag. Also Augen zu und durch.
Ich stehe vor der Klasse und kontrolliere die Hausaufgaben. Neun Schüler ohne. Neun von 13. Die Planung der Stunde kann man wegschmeißen, theoretisch müssten die vier ohne Hausaufgaben, diese jetzt erledigen. Damit wir irgendwie mit dem Stoff vorankommen. Nur ein kleines bisschen. Aber was mache ich dann mit den vier, die alles gemacht haben? Man muss ja spontan und flexibel sein. Planänderung.
"Holt bitte alle das Buch raus, wir lesen weiter." Gejammer, Gestöhne. Kaum einer bewegt sich Richtung Tasche, um das Buch rauszuholen.
- "Ey, Mrs. Johnson. Ist dieser Wind Sandy eigentlich noch da?"
"Abdul, ich glaube, du hast jetzt eine Aufgabe?!"
- "Walla, können Sie nicht antworten?"
"Nein. Du hast doch eine A.U.F.G.A.B.E!"
- "Ich hab gehört, diese Wind is schlimmer als Atombombe..."
"Mirko, auch DU hast etwas zu tun." Ich werde ignoriert. Eiskalt. An meinem Geburtstag. Toll!
- "Atombombe is doch nicht schlimm. Ey stell dir vor, die fällt so auf einmal auf Schule!"
- "Was Schule? Wenn die hier explodiert, ist mies, ich bin dann Zuhause. Zuhause passiert mir ja nix." Ist ja eine Kleinigkeit, so eine Atombombe. Sind ja nur 2 m2, die dann betroffen sind.
"Abdul, noch einmal: ich hätte dich jetzt gerne in der ruhigen Variante." Er macht tatsächlich seinen Mund zu. Für 90 Sekunden.
- "Mrs. Johnson, wissen Sie? Ich habe so ein Mann, der is so Couseng, aber nicht so richtig Couseng. Aber der kommt oberoft zu uns. Also wir sind schon ein bisschen verwandt..."
"Was ist mit ihm?"
- "DER spielt bei AC Mailand!" Kann ich jetzt nicht einfach nach Hause gehen und Geschenke auspacken??
Jetzt gesellt sich auch Önder zu unserem Gespräch. Ist ja nicht so schlimm, dass er am anderen Ende von dem Raum sitzt. Gute Akustik und so.
- "Walla Abdul, bist du vielleicht ein bisschen krank behindert? Oder nur behindert? Brauchst du vielleicht Orthopädiker? Niemals spielt einer dem dein Verwandter bei Mailand!" Abdul steht auf, überquert den ganzen Raum und stellt sich vor Önder. Halloooo? Ich versuche hier Unterricht zu machen!
- "Wir sind nur bisschen verwandt. Ich schwör dir, der spielt da. Frag mein Vater!"
"Abdul kommst du bitte kurz mit raus?"
- Immer ich! Was hab ich gemacht? Ich hab nix gemacht!"
"Das habe ich auch nicht gesagt. Kannst du bitte kurz mit mir rauskommen." Ich flüstere kurz Mrs. Smith zu, dass ich jetzt eine neue Taktik ausprobiere und gehe mit Abdul vor die Tür. Mrs. Smith und ich verstehen uns blind. Uns beiden ist alles recht, was diese Klasse zum Lernen bewegt.
- "Rufen Sie jetzt bei mir an?"
"Hör zu, ich habe heute Geburtstag!" Abduls Augen werden gaaanz groß.
- "Ja ja????"
"Ja. Und ich wünsche mir zum Geburtstag, dass du die restlichen drei Stunden ruhig bist und dich mit den entsprechenden Manieren am Unterricht beteiligst?"
- "Walla, Mrs Johnson, ich kann nicht. Ich muss andere erzählen, Sie haben Geburtstag!"
"Nein, ich habe es nur dir erzählt."
- "Bitte Mrs. Johnson. Ich muss erzählen."
"Du darfst, wenn du dich ab jetzt benimmst und wenn, dann frühestens in der großen Pause."
- "Ich schwör, ich mach. Ab jetzt." Abdul geht wieder in die Klasse. Ich gehe ihm hinterher und bete, dass er meinen Geburtstagswunsch erfüllt. Er grinst über beide Ohren.
- "Ey, das ist so unfair. Sie gehen mit Abdul raus und lästern über uns!"
"Ja genau, Jannes. So ist es!"
- "Abdul, Abdul, was hat die gesagt?"
"Ich darf nix sagen und ich darf nicht stören." 90 Sekunden geht es gut. Dann geht es weiter wie vorher. Aber Abdul bleibt standhaft und verrät keinem unser Geheimnis. Erst mal.

Nach der Pause kommt Önder und singt ganz ganz ganz laut in mein Ohr:
- "Happy birthday to you, happy birthday to you, happy birthday Mrs. Jooooohnsoooon, happy birthday to you. Was geeeeeht, Mrs. Johnson?? Geburtstag unso? Wollen Sie für Sie und für uns erlösen machen? Können wir jetzt gehen? Sie können dann feiern, wir können chillen... Ist doch mieseste Geschäft! Das wäre so porno!"

Na dann, happy birthday to me.