Donnerstag, 30. August 2012

WOW


„Erst der Enthusiasmus, dann erst der Fleiß.“
 
Stefan Zweig

Ich besuche Can an seinem Praktikumsplatz. Und ich bin ehrlich, ich erwarte das Schlimmste. Man soll lieber nichts erwarten, dann kann man auch nicht enttäuscht werden. Oder man erwartet denselben Can, wie in der Schule und geht da strahlend wieder raus, weil man den Can bei der Arbeit gar nicht kennt.
Can sitzt am Schreibtisch und lächelt mich an, als ich zur Tür reingehe. Er winkt mir zu und lächelt. Er springt nicht, schreit nicht, singt nicht. Er sitzt nur ruhig vor dem Computer. Seine Augen glänzen irgendwie.
- "Guten Morgen, Mrs. Johnson. Wie geht's Ihnen?" Ich bin sofort besser gelaunt, als vor einer Stunde.
"Gut danke! Und selbst?"
- "Gut! Möchten Sie einen Kaffee?"
"Oh ja, genau das, was ich jetzt brauche!" Can eilt raus Richtung Küche und ich kann es nicht fassen. In diesem Moment kommt Cans Chefin rein. Auch sie lächelt. Ok... so schlimm kann er sich hier nicht verhalten... Sie fängt an zu erzählen und Can gesellt sich zu uns. Ich weiß nicht, wann dieser Junge das letzte Mal so viel Lob gehört hat. Wie toll alles ist, wie pünktlich, zuverlässig, hilfsbereit Can ist. Wie gut er seine Aufgaben macht, wie bemüht und interessiert er ist. Can sitzt da und wird rot. Man merkt sofort, Can wird hier gebraucht und kann viele Erfolge feiern. Sie sind ganz klein, aber es gibt sie. Endlich kann er den Sinn erkennen, in dem was er tut. Im theoretischen Mathe- und Deutschpauken wird so ein Schüler niemals auch nur  einen kleinen Sinn erkennen. Warum sollte er es denn machen? Ich kann eine Mischung aus Unangenehm und Stolz erkennen. Megastolz. Auch ich bin es. Und überrascht. Von mir. Davon, wie wenig wir unseren Schülern zutrauen und wie schnell wir sie in eine Schublade stecken. Can besuche ich zuerst und liebe meinen Beruf ab dem Zeitpunkt ein bisschen mehr als vorher. Weil vor meinen Augen diese Jugendlichen eine Wahnsinnswandlung vollziehen, weil sie sich freuen, mich zu sehen und weil es so wichtig ist, was wir tun. Weil es so wichtig ist, jeden Einzeln von ihnen zu beachten und zu fördern. Nicht die Haupt-, Real- und Sonderschüler in eine Gruppe zu stecken und sie nach demselben Muster zu unterrichten. Gelder freizuschaufeln für mehr Räume, Personal, Materialien muss man! Immer wieder!

Nach Can besuche ich Abdul und Mirko. Die Schwierigsten der Schwierigsten. Während des gesamten Gesprächs höre ich kein einziges Mal 'aller', 'wallah' oder 'miesgeil'. Hier wird auch nicht geschworen. Weder auf den Koran, noch auf die Mutter. Auch sie glänzen, auch hier ist man mit ihnen zufrieden. Genau das brauchen Sie. Lob, Anerkennung und gebraucht werden. Schön, dass ich sie dabei begleiten kann. Wow!

Dienstag, 28. August 2012

Herausforderung Arbeitswelt


„Der ärmste Mensch ist der, der keine Beschäftigung hat.“

Albert Schweitzer

- "Ey, Mrs. Johnson, ich habe gestern bei Fernsehen angerufen. Die waren mies unfreundlich! Was ist mit den, ihr Leben los?"
"Was hast du denn gesagt?"
- "Ich hab gesagt, hallo hier ist Önder, ich will Praktikum hier machen! Und die dann so, nee geht gar nicht bei uns! Ey hätte ich gesagt, hallo hier ist Peter Müller, die hätten mich sofort genommen. Ich schwör, die hätten mich sofort genommen!"
- "Aller, was redest du? Die haben dich nicht genommen, weil du so hässlich bist!"
- "Mrs. Johnson!! Nafisa, diese kleine Missgeburt, wie redet die mit mir?"
"Also, Önder, wenn du bei dem Anruf genau dasselbe Vokabular benutzt hast, dann wundert es mich nicht, dass du eine Absage kassiert hast!"
- "Nein man, ich war übertrieben höflich. Dankebitteundso. Sie kennen mich doch!" Ja, eben...
"Wahrscheinlich haben sie momentan einfach keinen Bedarf an Praktikanten."
- "Was Bedarf? Einen Deutschen hätten Sie sofort genommen!"
"So ein Quatsch! Ich hatte nie Probleme, weil mein Name nichtdeutsch klingt oder weil auf meinem Pass ein anderes Land als Geburtsland angegeben ist!"
- "Ey Mrs. Johnson, Sie sind doch kein Ausländer! Sie sind doch voll interveniert! Mit Deutsch und Geld undso." Keinen vollständigen Satz zustande bringen und dann solche Fremdwörter raushauen!
"Voll was?"
- "Na wie das Ding heißt?"
"Integriert."
- "Ja, ist doch!"
"Ich bin mehr Ausländer, als du! Ich bin nämlich nicht in Deutschland geboren!"
- "Jaaa, walla, warum übertreiben Sie so?"
"Jedenfalls, glaube ich nicht, dass ein Peter Müller unbedint bessere Chancen hätte!" Oder doch?
- "Sie lächeln gerade so mit ihrem Fakelächeln! Sie meinen das gar nicht so, wa? Ist doch so, dass die keine Türken nehmen!"
"Ich meine das genauso. Wenn man sich am Telefon nett vorstellt und höflich nach einem Praktikumsplatz fragt, dann kann nichts passieren. Und wenn man einen Korb bekommt, nicht verzweifeln und weiter suchen!"
- "Jaaaa, sagt sich so leicht!"
"Erst mal hast du ja einen Platz und dann gucken wir weiter!" Plötzlich wird Önder ganz ruhig und ernst.
- "Mrs. Johnson, ich bin schon bisschen aufgeregt! Schon morgen... Was passiert, wenn ich da rausfliege?"
"Das wird nicht passieren, stimmt's? Du wirst weder den Chef noch die anderen Mitarbeiter ärgern?!" Bitte nicht, keiner soll hier rausfliegen.
"Önder??" Önder fängt an, hysterisch zu lachen.
- "Stellen Sie sich vor, ich gehe zum Chef und sag ihm, ey Chef, Ihre Mutter stinkt! Fliege ich dann?" Wie kommt man auf solche Ideen??
"Önder, du wirst durchhalten, immer nett lächeln und wirst der Mitarbeiter des Monats!"
- "Nein. Walla, ich werde gut arbeiten! Mrs. Johnson, aber Sie arbeiten nicht so gerne, wa?"
"Wieso denn das?"
- "Sie besuchen uns doch bei Praktikum?"
"Ja."
- "Aber da können Sie doch kommen, wann Sie wollen. Erst mal schön ausschlafen, frühstücken und dann arbeiten. Geben Sie zu, sie wollten in die Klasse, um auszuschlafen!"
"Wie hast du das denn jetzt rausbekommen? Und den Job habe ich gewählt, weil man so viele Ferien hat, nur nette und fleißige Schüler hat und nur bis 12 arbeiten muss! Aber sag es nicht weiter!"

Montag, 27. August 2012

Chef


„Auf dem höchsten Thron der Welt sitzen wir doch nur auf unserem Hintern.“
 
Michel de Montaigne

Ein Besuch in meiner alten Klasse. Auch die müssen in diesem Schuljahr ins Praktikum und ich habe die Ehre, sie darauf vorzubereiten. Oder es zumindest zu versuchen.

"Ihr solltet euch zu Hause überlegen, in welcher Branche ihr Praktikum machen wollt! Fatih, fang doch mal mit deinen Überlegungen an!"
- "Aaaaler Mrs. Johnson, was das? Wir hatten doch gerade Sport. Ich muss noch essen, trinken. Kacken muss ich auch. Mach ich dann, wenn wir große Pause machen. Sogar im Gefängnis gibt's länger Pause!"
"Woher weißt du das Fatih?"
- "Ich hab so Kontakte, wissen Sie?"
"Ich will das gar nicht wissen!"
- "Ich erzähl Ihnen trotzdem!"
"Erzähl mir lieber was zum Thema 'Praktikum'!"
- "Kann man im Gefängnis Praktikum machen?"
"Leute bleibt ernst! Ihr braucht alle einen Praktikumsplatz und es bleibt nicht mehr viel Zeit!" Dejan ordnet seit Beginn der Stunde seine Ordner. Dritte Stunde in Folge bei mir.
Einheften, Ausheften, irgendwas eintragen. Ich frage mich, woher die ganzen Blätter kommen. Sind echt viele. Scheint sehr konzentriert zu sein, darf man eigentlich nicht meckern. Wäre das nur nicht in meinem Unterricht! Plötzlich scheint ihn was anderes, als seine Ordner zu interessieren...
- "Aber Mrs. Johnson, ich verstehe nicht."
"Was genau, verstehst du nicht?"
- "Es ist doch der Chef, nicht die Chef?"
"Der Chef, richtig."
- "Aber ich hab gestern bei Internet-Café gefragt und die haben gesagt so, Frau Irgendwie is nicht da und ich soll heute kommen!"
"Ja und? Wo ist die Frage?"
- "Ja Chef is männlich und die Behinderten haben eine Frau! Ich mach doch nicht bei eine Frau Praktikum! Die verliebt sich dann in mich! Dann sag ich der, die soll bei mir in Schlange stellen. Die wollen mich alle! Und wenn ich dann rausfliege?" Dejan grinst über beide Ohren. Da ist es wieder, dieses 'Man-bin-ich-geil-Lächeln."
"Schon lange nicht mehr über dein Lieblingsthema gesprochen..."
- "Ey Dejan, du kannst bei mir Praktikum machen! Ich bin Chef!"
"Tuuuuncer, danke für deine Anmerkung. Du kriegst es nicht mal hin, das Datum und die Überschrift auf dein Blatt zu schreiben und willst gleich Chef spielen?" Tuncer kritzelt irgendwas halbherzig auf das Blatt.
"Tuncer, 6. Monat ist der Juni. Da sind wir schon lange nicht mehr!"
- "Ah so... Welche Monat sind wir?"
"Denk mal scharf nach..."
- "Du Spasst, kannst du nicht zählen? Wir sind August, du Hässlicher!"
"Das hast du aber schön gesagt, Dejan!"
- "Ja, ich bin ja auch King!" Zum Glück kein Chef, von denen gibt es hier genug.
- "Cüüüüs, sind wir schon 8. Monat? Ich bin irgendwie hängengeblieben bei sechste! Wallah, bald Winter! Dann muss ich mein Büro dick machen!"
"Was auch immer 'Büro dick machen' heißt, wie viele m2 hat denn dein Büro?"
- "Warten Sie, ich rechne!" Kurze Pause.
- "Länge oder Höhe?"

Mittwoch, 22. August 2012

Same same but different


Brain: "Komm, Pinky, wir müssen uns auf morgen Abend vorbereiten..."
Pinky: "Wieso,was wollen wir denn morgen Abend machen, Brain?"
Brain: "Genau dasselbe was wir jeden Abend machen, Pinky. Wir versuchen, die Weltherrschaft an uns zu reißen."

Ich könnte jeden Tag dasselbe Lied singen. Das Lied, das auch die Schüler seit dem Hitzeanfall singen. Zu heiß, zu müde, Antialles. Heute waren Mandy und Mirko pünktlich. Dafür Efkan und Önder nicht. Beide zum ersten Mal. Passiert, wie auch immer. Aber, es passiert. Was bei uns in der Klasse auch passiert, ist das ewige Gemecker von Önder.
- "Wallah, ich schwör, ich bin so aufgewacht, dann bin ich wieder eingeschlafen, dann bin ich wieder aufgewacht. Hätte ich gewusst, dass wir so ein Scheiß machen müssen, hätte ich weiter geschlafen!"
Dasselbe Lied alle 30 Minuten. - "Scheißschule, scheißwecker, scheißlehrer, scheißalles." Nach dem zweiten Abspielen von dem Lied war ich bereit, Önder wieder nach Hause zu schicken, damit er weiter schlafen kann. Komisch, dass er dann doch nicht gehen wollte.
- "Ja, ich kann ja gehen. Aber ich krieg ja dann Ärger, dann ist mies ohne Sinn, dass ich gehen darf. Tadel und so. Dann bleibe ich lieber hier." Mir wär's lieber, du hättest den Wecker tatsächlich überhört. Wäre uns allen geholfen.
"Du kannst ja nach der 9. Klasse abgehen, hast ja dann deine Schulpflicht erfüllt und das Leben wird auf einmal vieeeeel schöner!"
- "Nein man, ich bleibe. Ich schwör, wie ich bleibe! Ich will ja auch meinen MSA machen!" Ich hoffe es!
Wäre ja alles halb so schlimm, wäre Önder der einzige, der mit so einer Laune aufgewacht ist!

"Jannes, leg das Handy weg!"
- "Wieso?"
"Die Frage stellst du jetzt wirklich? So in echt?" Gut gedeutscht, ich weiß...
- "Ja, ich muss mein Handy anhaben."
"Weil?"
- "Weil stellen Sie sich vor, meine Muter fällt irgendwo um, bricht sich das Bein, bekommt Nervenzusammenbruch und muss mich anrufen!"
"Ja genau, dann kommen die UFOs vorbei und entführen sie und du musst Sie retten! In diesem Fall musst du natürlich erreichbar sein!"
- "Nein man, im Ernst. Stellen Sie sich vor...."
"Im Notfall kann sie ja in der Schule anrufen und man kann dich ans Telefon holen!" Ich nehme mir immer wieder vor, mich nicht auf diese Diskussionen einzulassen. Ich muss mich bessern!
- "Aaaaaler, sie bricht sich das Bein und dann muss sie noch nach Telefonnummer von Schule suchen? Sie sind ohne Seele! Übetreiben Sie mal nicht!"
"Wenn du die ganze Zeit mit deinem Handy spielst, dann kann ich deine Tagesleistung gar nicht bewerten!"
- "Na und, mir egal. Dann geben Sie mir schlechte Note!" Hätte ich wissen müssen, dass man sie mit schlechten Noten nicht kriegt.

Plötzlich höre ich Schreie. Sie kommen immer näher. Unsere Klassentür wird aufgerissen. Irgendein Schüler, Siebtklässler wahrscheinlich, den ich noch nie vorher gesehen habe, steht vor mir!
- "Frau Klassenlehrerin hat gesagt, irgendein Mädchen von Sie hat auf Treppe gespuckt. Und sie hat gesagt, ich soll zu Sie gehen und Sie sagen, dass Sie sollen Ihre Mädchen sagen, dass Sie soll das putzen." Das darf doch nicht wahr sein! Jetzt ist mein Tag perfekt.
Ich gucke zur Klasse. Das ist wahrscheinlich der erste und der letzte Moment an diesem Tag, in dem jeder einzelne schweigt. Gespenstisch. Man, bin ich sauer!!!
Isabel meldet sich. Es so leise, dass sie sich nicht mal traut, reinzurufen.
- "Das war Nafisa, die wollte mich anspucken, ist die hässlich! Schelle hat die verdient! Jetzt geh mal putzen!" Jetzt redet sie schon so eine Jungensprache, die gar nicht zu ihr passt...
Nafisa meldet sich zu Wort.
- "Was kann ich dafür, dass die mich so nervt? Und was rastet die Frau Klassenlehrerin so aus? Soll die ma weggehen. Is doch nur Spucke. Trocknet."
Sehr schön, hinrotzen. Im Gebäude! Es so lassen, als wäre nichts geschehen. Sich über alles beschweren.
Meine Geduld ist am Ende. Zu schade, dass ich meine Worte pädagogisch auswählen muss. Es folgt das, was folgen muss.

Bleibt zu hoffen, dass morgen kühlere Temperaturen herrschen und dass meine Klasse sich auch abgekühlt hat!

Dienstag, 21. August 2012

Verzweifelt


"Übe dich an den Dingen, an denen du verzweifelst."
Marc Aurel

Momentan könnte ich abwechselnd verzweifeln und kotzen. Ich weiß nur nicht, womit ich zuerst anfangen soll. Heute habe ich eine Freundin getroffen, die am Gymnasium arbeitet. 30 Schüler pro Klasse und jetzt kommt's: Sie sind leise und arbeiten. Und wenn sie aufstehen möchten, dann melden sie sich und fragen, ob sie das dürfen. Traum. Den ich nicht mal zu träumen wage. Hier zeigt sich einfach, dass es Gymnasiasten gibt und den Rest, um den sich kein Mensch kümmert. Und wir müssen mit diesem Rest zurechtkommen. Ohne Geld, ohne Personal, mit Ausstattungen, die älter sind als ich. Ich bin Lehrerin, ich muss das können. Ich muss alles wissen und alles können. Ich muss mit der Buldungsmiseresituation zurecht kommen, mit viel zu vielen Schülern in einer Klassen, mit viel zu wenigen Kollegen, mit überlasteten Jugendämtern, mit ratlosen Schulräten, mit Beleidigungen seitens der Schüler, Gewalt rund um die Uhr, Kämpfen, wenn es um Hausaufgaben und Lernen geht, fordernden oder auch ignoranten Eltern, mit Faulheit und Ziellosigkeit und mit vielem mehr, was ich vor meinem Berufsantritt nicht kannte. Ich wusste nicht mal, dass es so etwas gibt. Ich bin Lehrerin geworden, weil ich gerne mit Jugendlichen arbeite und ihnen was beibringen wollte. Aus den bekannten Gründen eben. Keiner hat mich gewarnt, keiner hat gesagt, dass es so sein wird. Aber ich bin eine ausgebildete Lehrerin. Ich muss alles wissen und mit allem zurecht kommen.

Ich habe wieder mal eine Stunde in meiner alten Klasse. Ich freue mich auf sie, schließlich hat man so Einiges schon zusammen durchgemacht. Sofort kommen die Jungs auf mich zu. Tuncer bleibt ein cm vor mir stehen und schreit so, also ob er einen Kilometer entfernt wäre.
- "Mrs. Johnson, Mrs. Johnson, sie wissen doch alles?"
"Hmmmm...."
- "Aber Sie sind doch Lehrerin! Wir haben eine Frage. Fatih hat keine Ahnung und ich will dem sein Leben beweisen!"
"Hä?"
- "Ja egal. Wenn man Fledermäusen das Gehirn rausnimmt, dann können die doch weiter leben?!"
"Ich habe absolut keine Ahnung. Vielleicht solltest du lieber einen Biolehrer fragen?!"
- "Aber Sie sind doch Lehrerin!"
"Aber keine Biolehrerin! Und auch die wird es nicht zwingendermaßen wissen! Wir sind auch nur Menschen und somit nicht allwissend!" Tuncer guckt mich mit großen Augen an. Scheint eine Riesenneuigkeit zu sein. Lehrer sind nicht allwissend. Wow.
Vielleicht sollten wir es dem Senat auch erzählen, dass wir keine Supermänner sind und nicht mit jeder Reform zwangsweise klarkommen müssen/können/sollen.

Zurück zu dem Neid auf die Freundin vom Gymnasium. Ja klar, mir war bewusst, worauf ich mich da mit der Praxisklasse einlasse. Und ja, ich habe es freiwillig gemacht und habe Spaß. Wir versuchen ja auch so viele praktische Aufgaben, wie möglich, reinzubringen. Darin sind die Kiddies gut. Leider muss auch 'normaler' Unterricht sein, schließlich will jeder den MSA nächstes Jahr schaffen. Mirko und Mandy kommen jeden zweiten Tag zu spät, auch mal zur zweiten Stunde. Gut, dass sie überhaupt kommen. Mandy geht auch früher und lässt den Raum unaufgeräumt, Ordnungsdienst kann man vergessen. Wenn wir etwas praktisches machen, zum Beispiel den Schulhof bepflanzen, wird das Handtäschen nicht abgelegt. Ich frage mich überhaupt, wie meine Mädels ihr Schulzeug in ihr Minitäschen reinkriegen. Nur Antonio und Nafisa haben die Hausaufgaben gemacht. Nur die Hälfte hat einen Farbkasten mit. Planung sowie die Stunde fallen ins Wasser. Große Bandbreite an Ausreden.
- "Ich wusste nicht."
- "Ich war nicht da."
- "Ich hab vergessen."
- "Sind eigentlich meine Farben, aber Önder hat die geklaut, schwör auf das Leben meiner Mutter und warum soll ich auf das Leben meiner Mutter ohne Sinn schwören, wenn ich lüge?" - 
- "Voll unnötig, Ihre Aktion - ich bin doch nicht in der zweiten Klasse."
"Mensch Leute, wenn ihr beim Praktikum seid und etwas Wichtiges nicht dabei habt, dann könnt ihr den Praktikumsplatz vergessen! Stellt euch vor, ein Elektriker kommt zu einem Auftrag ohne sein Werkzeug!"
- "Ja Elektriker... Farben vergessen ist doch nichts Lebenswichtiges. Als ob jetzt davon jemand sterben wird!"
Zum Verzweifeln. Ich würde trotzdem immer wieder Lehrerin werden. Und nicht am Gymnasium. Verrückt.

Montag, 20. August 2012

Heiß


„Sommer ist die Zeit, in der es zu heiß ist, um das zu tun, wozu es im Winter zu kalt war.“ 
 Mark Twain

Es ist heiß. Wir haben halb zehn Uhr abends und es ist immer noch heiß. Dementsprechend verlief heute der Schultag. Kiddies fertig wegen Hitze. Lehrer nochmehr wegen Hitze und wegen Schülern. Hitzefrei hilft natürlich, aber bis es soweit ist, muss man den Tag ja auch überleben. Und das ging heute gar nicht. Mirko war wegen der "Hurensohnubahn" zu spät. Önder hat gestern Bayram gefeiert. Bis in die tiefe Nacht und hat sich heute nur darüber beschwert, dass die Schule so früh beginnen muss. Mandy und Nafisa schliefen tief und fest während der Deutschstunde. Can guckte zum Fenster raus. Und der Rest jammerte. Über das Wetter, das Leben und sonst alles, was einem so eingefallen ist.

"Mirko, bist du jetzt ausgeschlafen? Fit und gut vorbereitet?"
- "Hä?"
"Ob du gut geschlafen hast?"
- "Geht so, normal eigentlich." Er gähnt und setzt sich auf seinen Platz.
"Du weißt schon, dass du die erste Stunde nacharbeiten musst, ja? Nicht, dass es morgen heißt: 'Ich habe es nicht gewusst!"
- "Wieeeeso??? Knechtet die mich so bei der Hitze...."
"Weil du verpflichtet bist bei Abwesenheit, Sachen nachzuarbeiten!"
- "Vor wem bin ich denn verpflichtet? Also ob Sie der Gesetzgeber sind!" Das ist eindeutig drei Stufen zu frech für diese Hitze. Langsam werde ich genervt und verstehe, dass es heute nicht mehr viel Sinn macht, irgendwelchen Unterricht zu machen. Auch wenn es Stoff der 2. Klasse ist.

- "Wie haben die das bei Olympische Spiele ausgehalten, ya? 125 Grad im Schatten und die rennen!" Liegt echt nah, das jetzt zu fragen...
- "Ey, Bruda, wie viele Medallien hat Türkei geholt?" Timm ist heute auch nicht für sonderlich viel zu begeistern, außer für Themen, die gerade nichts mit dem Unterricht zu tun haben. Aber auch gaaar nichts.
- "Keine Ahnung man, drei oder so. Die sind behindert."
- "Krass, ich dachte Deutsche waren schlecht. Aber ihr wart ja noch schlechter!" Wer Ihr?
- "Ja, egal. Hauptsache bei Möbelgeschäft gab es Prozente." Interessant, warum habe ich das verpasst?
"Was für Prozente denn?"
- "Maaaan Mrs. Johnson, die haben für jede Goldmedallie für Deutschland mehr Prozente gegeben."
"Hätte ich das vorher gewusst!"
- "Jaaa, Mrs. Johnson, alles verpasst. Sie verpassen die wichtigsten Sachen!"
"Ja stimmt, weltbewegendes Ereignis. Wie konnte ich bloß nicht daran denken??"
- "Hätten Sie mich gefragt!"
"Mache ich auf jeden Fall bei der nächsten Olympiade, Efkan!"
Plötzlich schaltet sich Jannes ein, der bisher auf seinem Stift gekaut und auf dem Stuhl geschaukelt hat.
- "Ey Mrs. Johnson, haben Sie gelesen, wie viel Geld dieses mickrige Feuer da gekostet hat?? Ich hätte es denen für billiger gemacht!"
Zurück zum Thema, nächste Olympiade.
- "Kann ich bei nächsten Spielen Praktikum machen? Aber nur bei den im Sommer."
"Das kannst du gerne machen Efkan, aber Rio ist ein bisschen zu weit für mich, um dich zu besuchen!"
- "Was?"
"Rio de Janeiro ist zu weit. Da werden zwei Stunden nicht reichen, um dich am Praktikumsplatz zu besuchen!"
- "Hä? Was für Rio?"
"Rio de Janeiro ist eine Stadt!"
- "Wo? Da neben Russland, wa? Uuuuuhhhhh, ich bin so gut." Efkan fängt an durch die Klasse zu springen und sich wie verrückt zu freuen.
"Leider nicht ganz richtig. Die nächsten Winterspiele sind in Russland. Rio de Janeiro ist eine Stadt in Brasilien und da finden die nächsten Sommerspiele statt."
- "Ja wusste ich es doch! Ich wollte Sie nur testen!" Es ist eindeutig zu heiß für solche Späßchen, die keine sind. Ich will nach Hause und in die Dusche springen.
Efkan geht weg und bleibt dann doch stehen.
- "Mrs. Johnson, Sie sind sehr begabt!"
"Warum? Weil ich Brasilien von Russland unterscheiden kann?"
- "Nur so. Können wir jetzt gehen. Ist echt übertrieben heiß."

Donnerstag, 16. August 2012

Gesucht: ehrliche Mitarbeiter


"Was bei der Jugend wie Grausamkeit aussieht, ist meistens Ehrlichkeit."
Jean Cocteau

Vor mir steht ein ziemlich großer Typ und lächelt mich an. Groß und breit. Abends im Dunkeln hätte ich wahrscheinlich Angst bekommen. Kennen wir uns? Hmmm, irgendwie kommst du mir bekannt vor..
- "Mrs. Johnson? Wie geht's Ihnen?" Ok, wir müssen uns tatsächlich kennen... Aber er sieht so... erwachsen... aus.
"Ähhhmmm, gut.."
- "Erkennen Sie mich nicht?" Peinlich.
- "Ich bin's. Osman."
"Aha." Verdammt, wer war das noch mal? Habe ich ihn unterrichtet?
- "Wir haben uns nur ganz kurz gesehen. Weil Sie haben damals als Lehrerin angefangen und ich hab Abschluss gemacht."
"Du bist mir auch sehr bekannt vorgekommen! Wir beide hatten aber nie die Ehre, oder?" Das klang bisschen zögerlich, aber irgendwie muss man ja rausfinden, ob ich ihn kennen muss und ob es Grund gibt, sich zu schämen.
- "Hä? Wie Ehre?"
"Na, ob ich dich unterrichtet habe?!"
- "Ah so, nee... Wir kennen uns nur so von 'Hallo' und 'Tschüß'." Jetzt bin ich beruhigt.
"Ist ja auch egal, wie geht's dir? Was machst du? Wo bist du?"
- "Schlecht geht's!"
"Warum?"
- "Ich hab damals voll den schlechten Abschluss gemacht. Hab da probiert und hier probiert und irgendwie wollte mich keiner. Jetzt muss ich so Drecksjobs machen. Wieso sollten die mich auch nehmen mit so schlechten Noten??"
"Oh je, das hört sich ja echt traurig an. Ich wünschte, ihr alle würdet es früher begreifen."
- "Ja, ich weiß. Richten Sie mal Ihrer Klasse aus, die sollen lernen. Sonst kriegen die kein Job und das ist echt nicht lustig!"
"Verlass dich drauf, von dieser Begegnung werde ich ihnen auf jeden Fall erzählen! Was machst du hier überhaupt?"
- "Wollt nur hallo sagen, hatte nichts besseres zu tun." Ja, so ist es. In der Schule ist alles langweilig und "ohne Sinn" und dann heulen sie, weil Arbeitslosigkeit auch irgendwann langweilig wird.

Mit fester Absicht, dies meinen Schülern zu stecken, mache ich mich auf den Weg in die Klasse. Mirko liegt auf dem Tisch und tut so, als würde er schlafen. Ich komme ganz nah an sein Ohr. "Buh." Mirko springt auf und fällt fast vom Tisch. Kommt davon.
- "Aaaaler, was los mit Ihnen?"
"Was ist los mit dir? Strandurlaub oder was?"
- "Cüüüs, kann man sich nicht mal kurz hinlegen? Hat doch noch gar nicht geklingelt!" Hab ich mich verhört??
"Natürlich hat es geklingelt!! Bist du gerade eingeschlafen?"
- "Nein man, ich war wach! Es hat nicht geklingelt, das sagen Sie extra." Timm kommt mir zur Hilfe.
- "Natürlich hat es geklingelt, diskutier doch nicht über jeden Scheiß!"
"Ich hasse Schule!" In dem Moment kommt Önder rein, gute 5 Minuten zu spät. Klingt vielleicht wie eine Lapalie, ist aber echt schlimm, wenn man bedenkt, dass ich für Haupt- und Nebensätze nur 45 Minuten habe! Önder scheint sich nicht zu beeilen. Er spaziert zu seinem Tisch, zieht Isabel an den Haaren und nimmt auf dem Weg einen Stift von Can mit. Ruhig bleiben, Mrs. Johnson. Wo ist denn sein Rucksack?
"Önder??"
- "WAS?"
"Wo sind denn deine Sachen?"
- "Ich hab kein Bock heute auf Schule. Meine Mutter hat mich gezwungen. Also habe ich nix mitgenommen. Wozu brauche ich Heft? Ist eh nur Deko." Ich schaue ihn fassunglos an.
- "Wieso gucken Sie so? Wenigstens bin ich ehrlich!"
"Ich fasse zusammen: Unpünktlich, ohne Materialien und ehrlich. Was meinst du, wie lange du beim Praktikum bleibst, mit diesen Eigenschaften?"
- "Ja und? Mir doch egal."
Jetzt ist der richtige Moment, ich erzähle der Klasse von der Begegnung mit Osman. Dass sie nur noch zwei Jahre vor sich haben, die schnell vergehen werden, ohne Abschluss die nächste Station Jobcenter heißt und und und. Das Übliche eben. Haupt- und Nebensätze können warten. Önder schaut mich gelangweilt an.
- "Ich schwör auf mein Leben, dieser Junge da, der elende, der war nicht ehrlich! Ehrlichkeit ist mieswichtig! Deswegen hat er verkackt!"

Vielleicht sollte ich nächste Stunde schon mal erläutern, wie man einen Hartz IV-Antrag ausfüllt.

Dienstag, 14. August 2012

Nostalgie


"Nostalgie ist die Sehnsucht nach der guten alten Zeit, in der man nichts zu lachen hatte."
Charles Aznavour

In unserer Klasse ist heute nichts besonderes vorgefallen. Keiner wollte Yoga machen, Önder ist eine Stunde zu spät gekommen, Can hat bisschen mehr geredet als die Tage davor, Melina hat ohne Pause gearbeitet, alle haben sich über die Bewertung des anderen beschwert, Mirkos jeder zweite Satz war: - "Na und, ist mir doch egal." und Nafisa verbrachte die Stunde auf dem Tisch liegend. Alles ganz normal.

Das Highlight heute war meine alte Klasse. Immer wieder schön, da zu unterrichten und zu sehen, was aus den ungeschliffenen Diamanten wird. Ah, war das poetisch. Wahnsinn! Sogar Dejan ist irgendwie so... menschlich geworden. Mit 'guten Tag, wie geht's Ihnen, Mrs. Johnson' und so. Ja klar, Sprüche wie 'ich bin so ein geiler Hengst und alle Frauen dieser Welt stehen auf mich' dürfen natürlich nicht fehlen. Tuncers Sprüche sind auch nicht besser geworden und Bülents Lieblingsspruch ist immer noch derselbe geblieben, nämlich 'nerv ma nicht, hab ich gesagt.' Irgendwie sind sie alle trotzdem oder gerade deswegen total niedlich. Und irgendwo ein Produkt, made by Mrs. Johnson. Zumindest ein Teil von ihnen. Ich liebe meinen Beruf, weil er so dankbar ist. Ok.. sie kommen nicht zu einem und bedanken sich, weil man so viel Energie und Mühe reingesteckt hat, aber wenn man sieht, wie sie langsam vernünftig, zielstrebig werden und einen mit einem Lächeln empfangen, dann ist es der Dank für die Arbeit. Und alles andere.

- "Mrs. Johnson, warum sind Sie nicht mehr Klassenlehrer bei uns?"
"Das wisst ihr doch! Ich wollte ein neues Projekt ausprobieren und habe mich bestimmt nicht gegen euch entschieden."
- "Aber Mrs. Johnson, ich vermisse Sie übertrieben. Ich kann jetzt keinem meine neue Kleidung zeigen. Das versteht keiner, wissen Sie? Und Sie waren schon so Experte, weil Sie gehen ja selba H&M und so, wa?"
"Gülcan, ich fühle mich wirklich geehrt, aber ich bin ja nicht aus der Welt. Du kannst mir gerne weiterhin zeigen, was du dir kaufst!"
- "Vooooll unfair, der Herr Wurzel hat meinen neuen Ring gar nicht bemerkt. Das ist soooo unhöflich, wie kann man so sein? Und bei Sie, Sie haben sofort gesagt: "oooooh, was ein schöner Ring! Sie haben Geschmack, ich schwör! Wollen Sie nicht ma Modezeitschrift arbeiten oder so? Die würden Sie direkt nehmen!"
"Danke für's Kompliment, aber es ist kein Verbrechen, nicht auf eure Einkäufe zu achten. Du wirst es nicht glauben, aber wir achten eher auf das, was ihr in der Schule schafft und nicht wie deine Kaufkraft im Center sich seit letzter Woche geändert hat!"
- "Was letzte Woche? Ich war gestern. Die machen immer noch Sale. Übertriebene Preise. Sind die eigentlich dumm? Die werden doch so arm?"
"Mir wär es lieber, wenn du auf deine Noten und nicht auf die Finanzen der Läden achten würdest." Gülcan verzieht ihr Gesicht so, als ob sie gleich weinen würde.
- "Mrs. Johnson, Sie sind voll gemein. Ich mach für Sie Liebeserklärung, wie ich Sie vermisse und so und Sie dissen mich übertrieben!"
"Das ist noch nicht dissen, Gülcan..." Wie aus dem Nichts taucht Tuncer neben uns auf. Wie auf Kommando beim Wort 'dissen'.
- "Ich habe mieseste App, was gibt. Mit so Disssprüchen. Soll ich rausholen und Ihnen zeigen?"
"Neeeein, du weißt doch genau, dass Handys verboten sind!"
- "Oh man..." Trotz der Enttäuschung packt Tuncer das Handy weg.
"Genug Smalltalk gehabt. Jetzt müssen wir auch mal arbeiten." Und dann staune ich nicht schlecht. Es ist Ruhe, jeder hat was zum Schreiben auf seinem Tisch. Sie melden sich, wenn sie etwas sagen wollen. Außer zwei hat jeder die Hausaufgabe gemacht. Wer seid ihr und was habt ihr mit meiner ehemaligen Klasse gemacht?
Das größte Dankeschön, das man bekommen kann.

Montag, 13. August 2012

Man nehme eine Portion Yoga


Yoga hilft einem, länger und besser Sex zu haben. Ich kann das schlecht erklären aber gut vormachen.
 
Sting

Gleich beim Eintreten in die Klasse sehe ich Önder, der über beide Ohren strahlt. Hmmmm, warum bist du so pünktlich in der Schule und dazu auch noch so gut gelaunt?
- "Mrs. Johnson, Sie werden nicht glauben! Ich habe ganzes Wochenende von Schule geträumt, macht so Bock gerade, ich schwör!"
"Aha." Was anderes fällt mir in der Situation auch nicht ein. Irgendwie ist sie so neu, diese Situation...
- "Was machen wir heute? Wieder was mit Händen?" Ok, das Zauberwort heißt also 'Praxisklasse'. Önder ist also schon mal in der Klasse richtig. Weniger Theorie und mehr Praxis. Und wenn Theorie, dann wissen, wozu und am besten mit der Praxis verbunden.
"Bestimmt, lass dich einfach überraschen... Aber vorher müssen wir noch bisschen mit Papier und Stift arbeiten."
- "Oh nö!"
"So Can, setz dich mal nach vorne, damit du besser arbeiten kannst."
- "Ich setz mich nicht neben dem, der stört mich immer." Oh nein, warum musst du dich jetzt ausgerechnet mit Önder anlegen? Zum Glück reagiert Önder gelassener, als ich dachte.
- "Ich schwör, ich wollte mit Can nicht mal 1% reden! Was redest du Junge, willst du Klatsche?"
- "Halts Maul, wer hat dich denn gefragt?" Can, was war das denn? Warum redest du im Unterricht nicht und jetzt auf einmal so ein Theater?
"Jungs, wir beruhigen uns jetzt alle mal und widmen uns jetzt wieder eurem Lebenslauf zu."
Da sich alle für ein Praktikum bewerben müssen, muss jeder wissen, wie man einen Lebenslauf schreibt, als geht's los mit der mühsamen Erarbeitung. Schon gibt es Fragen.
- "Mrs. Johnson, muss ich bei den Hobbies die Wahrheit sagen??"
"Ja, wäre schon angebracht. Der potentielle Arbeitgeber möchte ja wissen, mit wem er es da zu tun hat."
- "Ja ich meine, wenn ich 'Lernen' bei Hobby schreibe, dann ist es so gelogen! Aber die nehmen mich dann sofort, oder?"
- "Kann ich als Hobby 'ich will schlafen' schreiben?" Efkan dehnt sich und sieht dabei sehr verschlafen aus. Ich wette, er hat sich am Wochenende nicht so sehr auf die Schule gefreut.
"Ganz schlecht."
- "Aber wieso? Ist doch!  Mrs. Johnson, müssen wir was schreiben? Bei mir ist Gehirn schon voll!"
In dem Moment kommt Mirko rein.
"Woher kommst du denn?"
- "Von unten."
"Und was hast du unten 10 Minuten nach dem Klingeln gemacht?"
- "Yoga." Mirkos Gesicht bleibt total ernst, ich lache mich innerlich kaputt.
"Was??"
- "Yoga. Kennen Sie nicht? Soll ich Ihnen zeigen, wie das geht?"
"Schon gut, lass stecken."
- "Uuuuh 'lass stecken', am Wochenende cool geworden, Mrs. Johnson?"
"Nee, du?" Mirko weiß paar Sekunden lang nicht, was er antworten soll. Strike.
- "Ich sag Ihnen, Yoga ist megagut. Hilft gegen Magenkrämpfe. Und Arschkrämpfe. Ich wollt ja schneller hochkommen, aber ich hasse Treppen. Und dann habe ich Krämpfe bekommen. Und Yoga hat mich gerettet!"
"So genau wollte ich es eigentlich nicht wissen... Setz dich hin und nimm deine Sachen raus." Mirko bewegt sich laaaangsam zu seinem Platz. Der Rest lacht. Und lacht. Und lacht. Und ich kann es ihnen nicht mal verübeln.

Donnerstag, 9. August 2012

Strafe muss sein


"Du hast es eingerührt, du muß es auslöffeln."
Terenz

Der Auftrag der Eltern heißt 'erziehen und bilden'. Der Auftrag der Schule heißt 'bilden und erziehen'. Das ist ein Riesenunterschied. Wenn ich schätzen müsste, würde ich sagen, 80% unserer Arbeit widmen sich der Erziehung unserer Sprösslinge und nur 20% der Bildung. Wenn es hoch kommt. Bevor man erklären kann, warum der 1. Weltkrieg ausgebrochen ist, was eine Synapse ist oder wie Flächen berechnet werden, muss man lernen, dass es Regeln und Pflichten gibt, dass Höflichkeit nie verkehrt sein kann und dass nicht jeder Mensch auf der Straße darauf hinaus ist, dir eins in die Fresse zu schlagen. Diese Aufgabe ist echt schwierig und ich zweifele sehr oft daran, ob ich die Fähigkeit habe, sie zu erfüllen. Die Jugendlichen sind voller Hass, Enttäuschung und Perspektivlosigkeit. Eigentlich bezweifele ich, dass man die Menschen grundlegend ändern kann. Ich muss es dennoch versuchen. So lautet eben unser Auftrag. Gleich in der 1. Stunde sollte ich die Gelegenhiet dazu bekommen. Nicht bestellt und doch bekommen.

Zehn Minuten nach dem Klingeln klopft es an der Tür. Nein, es hämmert. So laut, dass wir alle zusammenzucken und ich an ein Erdbeben denke und sich bereits Evakuierungsszenen in meinem Kopf abspielen. Ich renne zur Tür und reiße sie auf. Nafisa steht vor mir. Mt knallrotem Kopf.
"Sag mal, hast du nicht gelernt, etwas menschlicher zu klopfen???"
- "Hä? Sie haben doch gesagt, man soll klopfen, wenn man zu spät ist."
"Genau, ich sagte klopfen und nicht gleich die Tür eintreten!!"
- "Hä? Aber sonst hören Sie doch nix! Und ich bin gerannt!"
"Das üben wir noch mal. Warum bist du zu spät?"
- "Tut mir voll leid. Verschlafen." Jetzt geht das schon wieder los. Das Schuljahr ist noch so jung. Dieses Jahr wird es ernst, sie müssen bald arbeiten. Wenn sie paar Mal zu spät zur Arbeit erscheinen, sind sie draußen. Es schreit nach Konsequenzen.
"Jetzt müssen wir mal alle zusammen beraten. Was machen wir jetzt mit Nafisa?"
- "Sie soll nachsitzen."
- "Lassen Sie sie 3 Wochen Ordnungsdienst machen!"
- "Schläge?"
"Leute, ich brauche ernsthafte Vorschläge! Wie wär's denn, wenn jeder, der etwas verbrochen hat in die Klassenkasse einzahlt?" Hat ja letztes Jahr auch funktioniert.
Jannes ist strikt dagegen, auch Antonio wehrt sich.
- "Mrs. Johnson, auf keinsten! Wasn daran schlimm, mal zu spät kommen? Ist doch voll menschlich. Und dann gleich wie im Gefängnis, Strafe!"
"Mal zu spät kommen kann passieren, aber wir hatten in der ersten Woche gleich 4 Verspätungen! Und es ist erst die erste Woche. Wenn nichts passiert, geht es doch so weiter. Es muss Konsequenzen geben. Im wahren Leben gibt es die auch. Im Berufsleben wird keiner weggucken, sondern euch feuern!"
- "Jaaa... Berufsleben ist ja auch was anderes."
"Nein, das ist nichts anderes! Es geht um die Einstellung. Wenn sie jetzt nicht geändert wird, dann passiert das nie." Langsam werde ich ungeduldig, schön die Regeln missachten und dann keine Konsequenzen tragen wollen!
Nafisa holt bereits ihr Portemonnaie raus. - "Was soll ich zahlen? Soll ich Ihnen Euro geben?"
- "Aller Mädchen, bist du behindert? Mach doch lieber Ordnungsdienst zwei Wochen!"
"Ähm Mirko, wir haben uns doch noch gar nicht auf Ordnungsdienst geeinigt!" Auch Nafisa sieht es überhaupt nicht ein.
- "Ich mach doch kein Ordnungsdienst! Ich lass mich doch nicht knechten! Hier ich geb Ihnen 1€, kaufen Sie davon eine Putzfrau!"
"Leute, so kommen wir nicht weiter!"
- "Was machen Sie überhaupt mit dem Geld, wenn wir was in der Kasse haben?" Ich habe das Gefühl zu sehen, wie es in Antonios Kopf raucht und er nachdenkt.
"Mal schauen, das entscheiden wir dann. Einen schönen Ausflug zum Beispiel..."
- "Aaaaah so, ich dachte, Sie gehen McDonalds essen oder so."
"Doch nicht McDonalds! Ich schnappe mir Frau Kollegin und dann vereisen wir für ein Wochenende. Möglichst teuer!"
- "Maaan Mrs. Johnson, bleiben Sie mal ernst!"
"Bleib du mal ernst!" Ich merke, dass wir zu nichts kommen und verschiebe die Diskussion. Irgendwas muss ich mir überlegen!

Nafisas Verspätung und unsere Geld-als-Strafe-Auseinandersetzung ist schnell vergessen und wir machen mit dem Unterricht weiter. Bis Antonio und Önder anfangen, sich laut streiten. Ich weiß gar nicht, um was es ging. Und zugehört habe ich erst ab dem Moment, als Antonio zu Önder sagte: - "Halt die Fresse, du Jude!" Ich reagiere ja ganz allergisch darauf. Genauso wie auf 'Zigeuner', 'Schwuchtel', 'Behindert' und anderen solchen Kram. Ich könnte kotzen, vor lauter Ignoranz und Böswilligkeit! Es klingelt.
"Ihr könnt alle runter gehen. Antonio, du bleibst hier!"
- "Hä? Was habe ich gemacht?"
- "Ich weiß es! Ich habe es genau gehört!!" Gut aufgepasst, Mandy.
"Kannst du dir vorstellen, warum du hier bist?" Antonio guckt mich total ratlos an.
- "Nee..." Ich erinnere den Herren an sein Vergehen.
- "Ich hab das gar nicht gesagt!"
"Antonio! Bleib wenigstens ehrlich!"
- "Ich hab es wirklich nicht gesagt!"
"Klar hast du das. Ihr benutzt diese Wörter, ohne es zu merken! Das macht die Sache doppelt so schlimm!"
- "Was ist denn so schlimm? Man spricht so..."
"Nein, man spricht nicht so! Warum beleidigst denn andere Menschen? Abgesehen davon, dass es unfassbar unlogisch ist, Religionen oder sexuelle Orientierungen als Beleidigung zu benutzen!!"
- "Aber das ist doch gar nicht böse gemeint, ich will doch keinen beleidigen... Meine Kumpel reden auch so." Natürlich reden sie auch so. Nur macht es die Sache leider nicht besser. Oh man, was mache ich denn jetzt?
"Und wenn deine Kumpels so reden, ist es erlaubt? Du beleidigst diese Menschen, auch wenn du dir dessen nicht bewusst bist!! Du schreibst einen Aufsatz bis morgen. Über jüdische Feiertage. Eine Seite. Und dann schreibst du, warum es keinen Sinn macht, solche Beleidigungen von sich zu geben. Die lässt du von deinen Eltern unterschreiben und gibst mir das Ganze morgen ab. Wenn du Glück hast, erzählst du der Klasse noch mal, was du rausgefunden hast."
- "Scheiße!"
"So sieht es aus!"
Der Erziehungsprozess fängt erst jetzt an. Jetzt muss man nur noch Zeit für die Bildung finden...