Mittwoch, 31. Oktober 2012

Thema verfehlt

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"Wenn sich einer darüber beklagt, dass die Welt ihn verfehlt habe, so heißt das, dass er die Welt verfehlt hat."
Antoine de Saint-Exupéry

Mrs. Smith und ich spazieren voller freudiger Erwartungen in den Klassenraum. Heute ist ein großer Tag. Unsere Schüler müssen präsentieren, was sie im Praktikum gemacht haben. Önder steht bereits vor der Tafel.
- "Kann ich schon anfangen oder wollen Sie noch Ansage machen?"
"Wir würden euch gerne begrüßen und dann können wir anfangen."
- "Aber ich krieg doch Plus? Sie haben gesagt, ich krieg Plus. Bitte."
"Plus?"
- "Ja, weil ich doch zuerst mache und noch nie vor Klasse gespricht hab. Nicht mal Grundschule."
"Stimmt, so war das. Du hast noch nie vor einer Klasse gesprochen?!"
- "Mein ich doch." 

Wir begrüßen also alle und besprechen noch einmal, worauf es bei einem Vortrag ankommt.
Önder fängt also an... und hält ein wirklich gutes Referart. Mit Augenkontakt zu den Zuhörern und allem drum und dran. Echt gut.
"Önder, das war toll! Frei gesprochen, Zuhörer miteinbezogen und sehr interessant erzählt. Uns hat bloß die Gliederung gefehlt."
Önder schreitet auf uns zu und hält uns seine Zettelchen vor die Nase.
- "Aber ich hab doch hier alle Glieder!"
"Eine G.l.i.e.d.e.r.u.n.g, damit die Zuhörer wissen, wie es weiter geht und an welcher Stelle du dich momentan befindest."
- "Ohne Sinn, ich hab doch gesagt, worüber. Und nur deswegen krieg ich Note schlechter?"
"Nein, auch weil du keinerlei Anschauungsmaterial -wie besprochen- mitgebracht hast."
- "Aber ich wollt nicht so traurige Bilder mitbringen."
"Das haben wir auch besprochen. Es gibt auch nur Skizzen zu dem Thema. Wäre gut, wenn du solche mitgebracht hättest!"
- "Aber die Bilder sind übertrieben traurig. Was macht das für Sinn, wenn hier alle heulen?"
"Wir reden nicht von Fotos, sondern von einer Skizze, damit wir verstehen, wo sich was befindet.."

"So Nafisa, du bist jetzt dran."
- "Aber ich hab nix." Mrs. Smith und ich schauen uns fassunglos an. "Ähmmm... mehrere Wochen Zeit... ähhmm, alles besprochen?"
"Aha. Und warum nicht?"
- "Ich wusst doch nicht, was ich machen soll."
"Du bist ja auch zum letzten Beratungsgespräch nicht gekommen!" Ich spüre Nafisas Wut, ihr Gesicht wird rot.
- "Was kann ich dafür, wenn ich nicht Schule kommen kann??? Soll mein kleiner Bruda allein zu Hause sein oda was?"
"Wir hatten einen Termin vereinbart! Dann präsentiere doch wenigstens das, was wir vorher abgemacht haben. Irgendwas musst du doch haben."
- "Nein. Kein Bock." Mittlerweile redet die gesamte Klasse auf Nafisa ein. Eine schlechte Note, wäre doch besser als gar keine Note, jeder hat sich getraut, sogar Can...
Nafisa bleibt eisern, wir bleiben ohne Referat. Dann ist es ebenso.

Abduls Referat ist hervorragend. Er ist einer der ersten und prallt den ganzen übrigen Tag damit, dass er doch erst gestern angefangen und am Stück alles gemacht hat. Komisch, dass du mir bereits letzte Woche dein Plakat gezeigt hast... Abdul kommt mehrmals an den Lehrertisch und versucht in meine Notenliste reinzugucken.
- "Hab ich echt beste Note bekommen? Aber ich war doch schon der beste?!"
"Timm und Jannes waren auch sehr gut."
- "Aber ich war doch schon bisschen besser? Die haben doch große Minus bei der 1 und ich hab nur kleine, wa?"

"Antonio, jetzt du bist du dran."
- "Ich mach mieseste Referat. Ich hab mir so Mühe gegeben, ihr werdet gleich so neidisch sein." Antonio erzählt also von seinem Praktikum im Kindergarten. Das Plakat stimmt, über die Sprechweise kann man nicht meckern, nur am Thema ist er vorbeigeschlitten. Abgemacht wurde, dass er über eine Bastelaktivität mit den Kindern berichtet. Leider ist daraus Versteckenspielen geworden.
Nach dem Vortrag scheint Antonio zufrieden zu sein. Wir nicht wirklich. Ein anderes Thema war abgemacht. Punkt.
"Wie kommst du denn jetzt auf Verstecken?"
- "Ich dachte egal, is doch auch mit Kindern!"
"Du kannst doch nicht einfach das Thema ändern. Du solltest ein Bastelprojekt mit den Kindern entwickeln und dieses nach der Durchführung auswerten."
- "Übertreiben Sie doch! Hauptsache ich hab doch Plakat und guten Vortrag gemacht?!"
"Ja, es war ja auch gut. Aber du hast eindeutig das Thema verfehlt. Das ist in jeder Prüfung ein Grund durchzufallen!"
- "Was durchfallen? Aber mein Plakat war doch Bombe?"
"Jaaa, du musst dich doch an die Abmachung halten! Ich kann doch nicht irgendetwas prüfen, was nicht zum Thema gehört!" Die Klasse muss natürlich Antonio unterstützen. Wir hören uns an, wie unfair und dass wir "ohne Sinn" sind. Wir beenden die Diskussion, Thema verfehlt ist Thema verfehlt.

"Mandy, du bist jetzt dran."
- "Ich hab falsch."
"Wieso denn falsch?"
- "Mach doch. Du kriegst bestimmt bessere Note, als Antonio, auch wenn du kein Plakat hast. Hauptsache Thema nicht verfehlt."
"Danke Önder, aber nach deiner Meinung haben wir nun wirklich nicht gefragt." Antonio schmollt immer noch vor sich hin. Ist halt so.
- "Ja, aber gucken Sie. Efkan hat nur abgelesen und hat dieselbe Note wie Antonio bekommen. Voll der Scheißvortrag gewesen." Efkan kocht, ich kann es sehen.
"Dafür war seine Powerpoint Präsentation erste Klasse und er hat zu dem vereinbarten Thema referiert!"
- "Jaaa, aber alles abgelesen!!"
"Ok Leute, reicht jetzt. In der Abschlussprüfung besteht ihr auch nicht, wenn ihr das Thema verfehlt. Ist hart, ist aber so. Mandy, willst du oder nicht??"
- "Später vielleicht."
"Nix später. Jetzt oder gar nicht?"


Montag, 29. Oktober 2012

Minusgrade

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„Viel Kälte ist unter den Menschen, weil wir nicht wagen, uns so herzlich zu geben, wie wir sind.“
Albert Schweitzer

Ist schon ungewohnt kalt morgens, kann man nichts sagen. - 4°C ist nicht witzig, aber was soll's? Aufstehen muss man ja trotzdem. Das schöne warme Bettchen verlassen. Und wenn man schon mal draußen ist, ist das alles auch nicht sooo schlimm. Hell ist es auch schon, wenn man rausgeht. Lässt sich überleben. Wenn das bloß alle so sehen würden...
Auf dem Flur begegne ich Tuncer und Walmir, noch vor der ersten Stunde. Beide gehen wortlos an mir vorbei.
"Jungs, Ihr dürft ruhig 'Guten Morgen sagen!"
- "Abooou Mrs. Johnson, wissen Sie wie kalt es ist?"
"Hä?"

Im Klassenraum angekommen, sehe ich Önder, wie er gegen die Heizung schlägt.
"Önder! Was ist denn mit dir los?"
- "Walla, ich schwör Eiswüste hier. Wieso spart Herr Hausmeister? Kaputte Menschen." Abdul pflichtet ihm bei.
- "Schlimm, wa?"
"Önder, warum sitzt du überhaupt neben der Heizung?"
- "Weil mir kalt ist! Wieso sonst?"
"Nach der Sitzordnung sitzt du zwei Tische weiter!" Önder bewegt sich nicht.
"Önder, würdest du bitte auf deinen Platz gehen?" Önder steht auf, schmeßt fast seinen Stuhl um, bewegt sich dennoch zu seinem Platz. Immerhin.
Die Stunde hat begonnen, die Kälte scheint vergessen zu sein. Mittlerweile ist es so kuschelig im Raum, dass ich mich nach der kalten Luft sehne. Wir sind mitten im Unterricht. Plötzlich schreit Önder.
- "Ohne Sinn! Was das mit Sitzplan? Ich will auch nicht vorm Lehrer sitzen und mich fragt keiner!"
Ich gucke ihn mit dem "Todesblick" an.
- "Was denn?? Ich soll mich doch beteiligen. Dann sagen Sie: 'Uhhhh, Önder hat 45 Minuten nix gesagt!' Schlechte mündliche Note und so. Gelitten, ich sage nie wieder was!"
Ich drehe mich zu Mrs. Smith. Eigentlich muss man das filmen und dann Eintritt verlangen.
"Mrs. Smith, wollen wir ihm für diese Aussage eine 1 für die mündliche Leistung der Stunde geben?" Mrs. Smith lächelt.
Mirko hat die ganze Zeit auf die Gelegenheit gewartet. Jetzt ist sie da.
- "Guck mal Önder, die reden, als wären wir gar nicht im Raum!"
"Willkommen in unserer Welt!"
- "Hä? Welche Welt?"


Donnerstag, 25. Oktober 2012

Mal was aus der Praxis


„Theoretisch Marge, theoretisch funktioniert auch der Kommunismus!"
Homer Simpson

Was für ein Tag... was für eine Woche... was für eine andere Welt. Man denkt, man hat schon alles gesehen und gehört. Aber es gibt Sachen, die gibt es nicht... Situationen, bei denen ich so sprachlos bin, dass ich überhaupt nicht reagieren kann. Wie denn auch, ich habe sie ja auch noch nie erlebt. Ich kenne das so nicht. Mrs. Smith und ich sind leicht fertig. Wir stehen vor der Schule und genießen die frische Luft. Endlich Luft. Und unterhalten uns, wie unglaublich unsere Schüler sind. Zum Glück kann ich von "unseren" Schülern sprechen. Wenn ich alleine diese Klasse betreuen würde, wäre ich wahrscheinlich schon in Frührente. Jedenfalls merkt Mrs. Smith an, dass wir uns mal über nette Dinge des Lebens unterhalten müssten, nicht nur darüber, wie übel alles ist. Recht hat sie, aber wie soll man das bloß anstellen, wenn wir keine Ergebnisse sehen? Übel ist übel. Fertig. Aus. Das einzige was hilft, ist das alles mit Humor zu nehmen. Versuchen wir es... Aber zuvor müssen wir uns über die letzten 24 Stunden austauschen. Ah ja und jedem, der denkt, sowas kann nur Fiktion sein, kann ich nur sagen: Genauso war es.

Wir bestellen die Schüler in die Schule, um den Fortschritt für die größere Aufgabe zu kontrollieren, die sie nächste Woche abgeben müssen. Besser so, als wenn sie nächste Woche mit leeren Händen da stehen und eine 6 kassieren. Wir kennen das doch. Wenn man ihnen nicht hinterher rennt, kommt nichts. Kontrolle ist nicht nur besser, sie ist das Einzige, was wenigstens bisschen hilft.
Die ersten Absagen für diesen "Privatunterricht" kamen schon gestern. Es ist Bayram, ein Feiertag. Das wussten wir natürlich, aber keiner meldete sich eine Woche zuvor ab. So wie verlangt. Also gingen wir davon aus, dass wir heute alle Kiddies sprechen können.
Efkans Mutter meldet ihren Sohn für heute telefonisch ab. Seit wann muss man das schriftlich anmelden, fragt sie? Und dann auch noch eine Woche vorher?! Das hätte sie ja noch nie gemacht. Eben deswegen. Wir müssen doch wissen, mit wievielen Schülern wir rechnen können. Ab und an müssen auch wir planen.

Can meldet sich über Facebook. - "Mrs. Johnson, ich verstehe nicht, was ich machen soll mit Hausaufgaben. Wann kommen Sie mich besuchen, damit Sie es mir erklären können? Heute würde passen." Schön, dass es heute passt. Mir nicht. Diese Hin-und-her-Schreiberei geht mir auf die Nerven. Ich rufe ihn an.
- "Wenn du Fragen hast, kannst du gerne morgen in die Schule kommen."
- "Mrs. Johnson, morgen ist Bayram. Ich gehe nicht arbeiten. Und deswegen kann ich auch  nicht in die Schule kommen. Kann ich Freitag kommen?"
"Und wann hattest du vor, mir zu sagen, dass du morgen nicht kommst?"
- "Hä? Aber Sie wissen doch, ist Feiertag!"
"Du musst dich doch abmelden, wenn du nicht kommst! Es gibt auch Leute, die trotzdem arbeiten an dem Tag."
- "Aber wieso? F.E.I.E.R.T.A.G."
"Ist ja schön und gut. Andere Leute müssen dafür Urlaub nehmen! Du kannst gerne wegbleiben, aber sag doch bitte Bescheid!"
- "Hmmmm."

Abdul meldete sich ebenfalls gestern Abend. - "Mrs. Johnson, ganze Schule hat morgen frei. Nur wir müssen Praktikum." Natürlich, die ganze Schule hat frei- egal ob man feiert oder nicht. Nur du musst arbeiten, weil du Abdul heißt. Leider muss er mir doch heute zeigen, was er bisher gemacht hat. Das Ergebnis ist ernüchternd, der größte Teil wurde noch nicht malangefangen.
- "Man Mrs. Johnson, was regen Sie sich so auf? Locker mach ich das... Ich hab doch noch 3 Tage..."
"Ich rege mich auf, weil du in letzter Zeit echt abgebaut hast!"
- "Ah was, es gibt Schlimmere..." Ja, nach unten gibt es leider auch keine Grenze.

Melina wurde um 9. 30 Uhr bestellt. Um 9 Uhr bekommt Mrs. Smith einen Anruf.
- "Mrs. Smith, wo bleiben Sie? Ich bin schon hier."
"Wir sind doch erst in einer halben Stunde verabredet"
- "Ja, aber ich bin schon da. Können Sie sich beeilen? Bitte." Mrs. Smith beeilt sich tatsächlich. Als sie in der Schule ankommt, ist von Melina weit und breit nichts zu sehen. Um 9.40 Uhr erscheint sie. - "Ich wollt bisschen spazieren, Sie waren doch eh nicht da."

Önder ruft Mrs. Smith gleich dreimal an. Um 18:10, 19:15 und 20.05 Uhr.
- "Ich will nur Praktikum gehen, Schule komme ich nicht!" Warum er erst mal nicht kommen konnte, bleibt ein Rätsel. Es gibt nämlich drei Versionen. Pro Anruf eine Version.
1. - "Gäste kommen, ich muss helfen."
2. - "Gäste kommen doch nicht, aber ich kann auch nicht Schule kommen."
3. - "Gäste kommen nicht. Aber ich kann erst nachmittag kommen." Gebongt, dann komm eben am Nachmittag, sagt Mrs. Smith. Alleine für diese Terminvereinbarungen müssten wir Überstunden anmelden.

Mrs. Smith und ich sitzen also in der Schule und warten. Sie auf Önder und dann auf Jannes. Ich auf Mirko. Mirko stand fälschlicherweise schon heute früh vor der Schule und hat sich gewundert, wo ich bleibe... Der Schüler von heute, entscheidet eben selbst, wann er zur Schule kommt. Die Reihenfolge ist klar. Önder, Jannes und dann Mirko. Önder ist nicht da. Wir warten. Kein Önder. Dann SMS: Komme 10 Minuten später. Warten. Nichts. Irgendwann kommt Jannes. Pünktlich, gut gelaunt und vorbereitet. Önder kommt 45 Minuten zu spät zu seinem Termin. Er reißt die Tür auf. - "Was machtn Jannes hier? Hab ich nicht Termin?"
"Nein, jetzt ist Jannes dran. Wartest du bitte draußen?"
- "Ja, aber können Sie schnell machen? Ich muss gleich wieder weg." Nö, Mrs. Smith macht nicht schnell. Irgendwann ist auch Önder dran. Önder ist also da, seine Materialen aber nicht. Wir sehen nichts. Wir hören Ausreden. Wir haben noch ein Thema für später. Önder geht, nachdem wir ihm wieder einmal gesagt haben, was er nächste Woche abgeben muss.
Nur noch Einer heute. Mirko. Halbe Stunde nach dem eigentlichen Termin ist verstrichen.  Mirko ist nicht da. Sein Handy ist aus. Wir gehen jetzt. Reicht.

Mrs. Smith und ich stehen draußen und können uns nicht entscheiden, wessen Tag besser gelaufen ist. Ihr oder meins. Wir kommen zu keinem Ergebnis, nur dazu, dass wir uns mal auch über schöne Sachen unterhalten sollten.

Dienstag, 23. Oktober 2012

Die Würmer sind los!


"Wer sich zum Wurm macht, soll nicht klagen, wenn er getreten wird."

Immanuel Kant

Heute stand ich vor der Klasse und dachte, das macht mir so keinen Spaß mehr, ich will so nicht arbeiten. Vor allem will ich nicht weitere 35 Jahre so arbeiten. Da ist nicht nur ein Wurm drin, sondern mindestens 150 Würmer, böser, ekliger Würmer. Da kam eine ganze Wurmfamilie mit Tanten, Onkeln, Omas, Opas und Cousins und hat sich in den Köpfen meiner Schüler verbarrikadiert! Sie wollen nicht, komme was wolle. Unterricht nicht möglich, nicht mal das Schreiben einer Arbeit kann in Ruhe erfolgen. Immer dieses Gequatsche und die Bitten, endlich mal ruhig zu sein, weil es Leute gibt, die sich doch konzentrieren wollen, werden ignoriert. Es wird diskutiert, gemeckert, nach Fehlern bei Lehrern gesucht. Natürlich machen wir alles falsch und die Schüler alles richtig. Also ist schon wieder so ein Belehrungsgespräch angesagt. Wie ich diese Gespräche hasse, bringen sowieso nichts. Da das Reden aber das einzige Mittel ist, reden wir eben wieder.
- "Mrs. Johnson, haben wir heute sechs Stunden?"
"Auf deinem Stundeplan sind es am Dienstag sieben, oder?"
- "Jaaaa...."
"Dann stell auch nicht solche Frage."
- "Aber Sie haben letzte Woche gesagt, dass wir am Dienstag sechs Stunden haben!"
"Das war eine Ausnahme und genauso habe ich euch das auch gesagt!"
- "Neeeeein, Sie sagten, jeden Dienstag!" Ich breche die Diskussion an dieser Stelle ab.
"Dann fangen wir mal mit den Referaten an. Ihr solltet ja bis heute fertig werden." Die eine Hälfte schaut in die Luft, die andere zu Boden. Ich hab's geahnt.
- "Mrs. Johnson, ich schwör, ich hab's gemacht, aber zu Hause vergessen."
- "Kann ich aus'm Kopf machen?"
"Nein! Ihr solltet doch auch ein Plakat erstellen!"
- "Aber Can darf, ja?"
"Nein, auch er darf nicht!"
- "Sie haben gar nicht gesagt, dass wir präsentieren müssen..."
"Natürlich."
- "Ich dachte wir können noch mal an die Rechner und ich hab's nicht kopiert..."
"Ich sagte, ihr sollt das, was ihr hier gemacht habt, euch selbst schicken!"
- "Hä? Wie? Und wenn ich keine E-Mail-Adresse habe?" Schön, für alles Ausreden und nie ist man selbst schuld.

"So Leute, ich hätte gerne gewusst, wie ihr euch das Leben in den nächsten Jahren vorstellt?"
- "MSA, Abi, Studieren, Haus undso für Parties... So ein Partyhaus, wissen Sie?"
"Superwünsche sind es und wovon willst du dir das Haus kaufen, Jannes?"
- "Na, arbeiten..."
"Dafür müsst ihr doch mal anfangen zu lernen, Leute! Der MSA fällt doch nicht vom Himmel..."
- "Walla Mrs. Johnson, das ist schon bisschen unlogisch, was Sie da sagen. Was hat denn lernen mit MSA zu tun? Weil..."
"Ist diese Frage ernst gemeint, Önder?"
- "Walla, ja! Wie Sie mich unterbrechen. Immer sagen Sie so, lass mich ausreden, lass mich ausreden und selba??"
- "Aller Junge, bist du vielleicht irgendwie behindert? Natürlich musst du lernen, wenn du guten Abschluss haben willst? Die haben schon Recht, wenn Sie und das sagen!" Danke!
- "Ey Nafisa, du Hässliche, hat irgendjemand gesagt, 'red'?" Nafisa lässt sich diesen Ton natürlich nicht gefallen. Mittlerweile reden alle durcheinander, aber ich versuche mich auf Önder und Nafisa zu konzentrieren, damit es nicht zum Schlimmeren kommt.
- "Halt die Fresse, du Spasst!"
- "Halt du doch die Fresse! Ich schwör, wie die mich aufregt!" Zählt hier auch, was mich so alles aufregt? Eher nicht...
- "Wie redest du mit mir? Halt's Maul!"
- "Halt du doch das Maul!"
"Leute, es reicht! Schaffen wir es heute noch, ein menschliches Gespräch zu führen??"
- "Ja, können wir, aber darf ich noch was sagen?"
"Nur, wenn es zum Thema passt."
- "Nein, aber ich muss. Diese Arbeitsblatt in Deutsch. Wie dumm kann man sein, so ein Arbeitsblatt zu machen? Der hat sich verschrieben." Ich gucke hin, da ist tatsächlich ein Druckfehler. Passiert.
- "Wer das Blatt gemacht hat, soll vom Hochhaus springen. Direkt mit dem Kopf auf Beton. Wie kann man so dumm sein??" Wie kann man so etwas aggressives und gewaltverherrlichendes von sich geben?? Ich denke immer wieder, mich kann nichts mehr aus der Fassung bringen. Aber es geht doch. Wahnsinn.
Hier schaltet sich Isabel ein. - "Önder was redest du? Ohne Sinn..."
- "Dein Leben ist ohne Sinn." Die ganze Klasse pfeift und hetzt weiterhin.
- "Uuuuhhh, hat er dich gefickt." Meine zarten Ohren...

"Zurück, zu eurem Leben und eurem Abschluss!"
- "Jaaa und Sie müssen gar nix mehr lernen? Wissen schon alles oda was??"
"Mirko, ich habe meinen Abschluss schon! Du noch nicht, soweit ich informiert bin..."
- "Können Sie uns nicht beim MSA vorsagen?" Oh nein bitte, was redet ihr heute alle??
- "Ey willst du echt so ein unehrliche MSA? Dann lieber gar keins!"
- "Wieso?? Man kann doch auch Zeugnis in der Ukraine kaufen oder so?!"

Spaß ist was anderes.

Sonntag, 21. Oktober 2012

Lehrer als Alleskönner


Wir können nicht alles tun, aber wir müssen tun, was 
wir können."



Bill Clinton


Es gibt eine neue Empfehlung von einer Kommission, bezüglich der zukünftigen Lehrerbildung in Berlin. Eine Lehrerbildung, die an die jüngste Reform angepasst werden muss. Neue Reform in der Schule, neue Reform in der Lehrerbildung. Ein Uniprofessor spricht also Empfehlungen aus. Zusammen mit einer Kommission. Ich würde gerne wissen, wann dieser Professor oder die Mitglieder dieser Kommision das letzte Mal in so einem Unterricht waren, wie ich ihn täglich erlebe. Wäre mal interessant zu erfahren. Das Ergebnis der Tagung: die Lehrer müssen, müssen, müssen. Die Lehrer müssen nicht nur etwas von ihrem Fach verstehen, sondern müssen auch die Grundlagen der Sonderpädagogik studieren. Reden wir an dieser Stelle nicht drüber, dass die Sonderpädagogik ein eigenständiges Fach mit -glaube ich- 8 Semestern Studienzeit, ist. Wir müssen also Hauptschüler, Reaschüler und Sonderschüler zusammen in einer Klasse unterrichten. 26 Schüler in einer Klasse. Nichts leichter als das! Die Lehrkraft sollte wissen, wie sie den Stoff am besten vermitteln. Nun ja, ich weiß es. Ich weiß auch wie Partner- und Gruppenarbeit funktioniert, wie man Stationenlernen und ein Lernbuffet veranstaltet. Ich weiß auch, welche Methode zu welcher Gruppe und zu welchem Thema passt. Nachdem ich meine Schüler beruhigt, möglicherweise alle Konflikte beigelegt und die Kinder dazu gebracht habe, alle Materialien auf den Tisch zu legen, kann man ja so eine schicke Methode machen. Funktioniert vielleicht auch mal 5 Minuten, bis man sich wieder der Disziplin wenden und alle dazu motivieren muss, zu arbeiten und nicht in die Luft zu starren, durch die Gegend zu hüpfen, mit anderen zu kommunizieren usw. Ich habe auch gelernt zu differenzieren, aber in drei und nicht in 26 Stufen. Das Niveau der Schüler ist nämlich so unterschiedlich, dass man soweit gar nicht differenzieren kann. Zumindest nicht alleine. So einen Studiengang will ich sehen, der so etwas anbietet. Da würde ich doch glatt wieder studieren. Nehmen wir meine ehemalige Klasse. Während Umut mit der Aufgabe fertig ist, hat Can noch gar nicht angefangen. Dejan und Fatih schlagen derweil einander und ziehen Gülcan an den Haaren. Valmir spielt mit Djamal xxo. Jocelyn und Betül haben Fragen zu der Aufgabe. Deniz verlangt nach der nächsten Aufgabe. Nafisa malt den Tisch an. Nathalie guckt zur Decke, Murat unterhält sich mit Luis, Lukas hört heimlich Musik und Justin hüpft durch die Klasse und singt dabei. Und das war erst die Hälfte der Klasse. So, hat jemand was von aufregenden Methoden gesagt? Jedes Verhalten hat einen Grund und jedem muss man helfen, indem man diesen Grund herausfindet und versucht ihm zu helfen. Nur werden leider langsam alle Förderzentren aufgelöst, also müssen die "normalen" Lehrer ran... Wir lernen also kurz mal paar Grundlagen der Sonderpädagogik neben den restlichen Inhalten des Studiums und können dann mit den Störern, Verweigerern, Nichtkönnern und allen anderen umgehen. Und das auf einmal.

Wie wär's denn mit einer Doppelbesetzung in den Klassen, mehreren Sozialpädagogen, mit kleineren Klassen und mit Sonderpädagogen, die nicht nur an einem Tag in der Schule sind, sondern mal eine ganze Woche!? Aber nein, die Lehrer müssen alles können. Wenn man eines Tages den Zoo auflöst, weil der zu viel Geld kostet, werden wir auch die Tiere unterrichten müssen... Mit ein paar Grundlagen in Zoologie wird es schon klappen... Auch wenn die Lehrer nicht mehr Können, weil die Belastungen und die Aufgaben immer mehr werden, müssen sie trotzdem können.
Wir müssen eben alles. Wir sind Sozialarbeiter, Mutter, Vater, Psychologe, Polizei, Arbeitsberater, Krankenschwester, Moralapostel, Motivationstrainer, Wecker, ... Wir erinnern, wir besuchen, wir kontrollieren, wir bringen bei, wir bemuttern und bevattern, wir bilden, wir erziehen, wir ermahnen, wir schreiben, wir hören zu, wir reden mit Eltern und dem Jugendamt, wir rufen an, ... Wir müssen immer mehr. Nur uns gegenüber muss man keine Zugeständnisse machen. Man muss uns nicht verbeamten, muss sich auch nicht erkundigen, ob man denn mit den Änderungen, die die Politik beschließt, überhaupt zurechtkommt. Wenn nach dem Umsetzen dieser Empfehlung immer noch was schief läuft, dann überlegt man sich noch etwas für die Lehrer? Schließlich, sagt der Professor, hinge alles vom Können der Lehrer ab!  Bisher haben sie doch auch alles ausgehalten... Ist nicht so schlimm, dass die Zahl der Langerkrankten immer weiter steigt... Schade, dass ich es mir nicht leisten kann, lange zu erkranken, weil ich nicht verbeamtet bin. Wenn ich also eines Tages nicht mehr kann, muss ich trotzdem weiterhin können. Bis zum Umfallen.