Montag, 4. November 2013

P

"Erfolg hat drei Buchstaben: TUN!"
J.W. Goethe

MSA, was war das nochmal? Können wir nicht den Stoff der Grundschule wiederholen und uns dann langsam Richtung MSA vortasten? Aber ganz langsam. 

Es klingelt. Ich stehe vor der Hälfte der Klasse. Und frage mich, wo die anderen bleiben. Schließlich wollen wir uns heute den ganzen Tag Mathe und Deutsch widmen- Vorbereitung für den MSA. Superwichtig. Fünf nach rennt Nafisa rein, schmeißt ihre Jacke neben den Tisch und sich selbst auf den Stuhl. Der Stuhl schwankt ein wenig, bleibt aber stehen. Und Nafisa bleibt sitzen. 
Sie wischt sich den Schweiß von der Stirn. "Aaaaler, was ne Hitze!"
"Hitze? Mir war heute richtig kalt, als ich zum Auto lief!"
"Sie müssen S-Bahn fahren, Frau Feynberg! Da war voll die krasse warme Heizung. Vielleicht ist ihre Heizung in Auto kaputt? Müssen Sie ihr Ferrari Werkstatt bringen."
"Ferrari wäre schön.. Ich lief zum Auto, als mir kalt war. Und stell dir vor, da hatte ich keine Heizung um mich rum. Im Auto war es dann warm."
"Ah so.. ja egal. Lassen Sie Deutsch machen. Ich muss MSA schaffen!"

"Gute Idee. Nehmt alle eure Deutschhefter raus."
Ich muss jeden Einzelnen dazu auffordern. Von alleine geht da gar nichts.
"Timm, wo ist dein Hefter?"
"Hier, ich hab doch! Immer ich..."
"Alles klar, schon mal gut. Und wo ist das Arbeitsblatt von letzter Woche?"
Timm fängt an, in seinem Ordner zu blättern.
"Warte mal... ähm.. warten Sie mal..."

Plötzlich sehe ich ein Blatt mit Dreiecken in Timms Ordner. "Timm, was macht denn ein Mathe-Arbeitsblatt in deinem Deutschordner? Ich halte es für eine Superidee, wenn du deine Ordner mal ordnen würdest." Timm schaut mich verdattert an. "Hä? Ist das Mathe?" 
"Nein, das ist Musik. Sieht man doch."
"Hä??"
"Vergiss es, einmal Ordner ordnen bitte. Bis morgen." Timm seufzt.
"Ich schwöre, diese Kackschule. Können wir nicht Internetfach haben? Internet hat mir mehr beigebracht als Schule!"
"Bevor es ans Internet geht, müssen wir leider bisschen Deutsch machen. Fangen wir mit den Zeiten an. Wie nennt man denn die Gegenwartsform eines Verbs?" Ratlose Gesichter.
"Sagen Sie mal erste Buchstabe."
"Nein."
"Biiiitte!!"
"Na gut. P."
"Plural?"
"Pronomen?"
"1. Person Singular?"
"Präteritum?"
"Leute, bitte!! Habt ihr schon mal was von Präsens gehört??"
"Klaaaar!" sagt Abdul, rollt mit den Augen und klopft sich an die Stirn.

Präteritum und Perfekt kriegen wir dann auch hin. 
"Was kommt danach?"
Ratlose Gesichter.
Mirko springt vor Aufregung auf. "Ich weiß, ich weiß... dieses Ding.. wie heißt das? Minusquamperfekt! Nein! Plusquamperfekt, aber mit Minus kann ich es mir besser merken."

Und übrigens... mein Buch kann man ab heute kaufen! "Ich werd sowieso Rapper" geht unter die Bücher. Und da ich bisschen stolz drauf bin, freue ich mich seeehr, wenn es viele Leser findet. Cheers.

Freitag, 25. Oktober 2013

Geht's auch ohne Schock?

"Erst muß es zum totalen Offenbarungseid und zum Schock kommen. Erst dann kann man erfolgreich mit einen neuen Aufbau beginnen."

Franz Josef Strauß 

"Frau Feynberg, ich schwör, gleich erwartet Sie so ein krasser Schock! Sind Sie bereit?" Önder begrüßt mich bereits an der Tür und weiß anscheinend etwas, was ich noch nicht weiß.
"Geht's auch ohne Schock?"
"Nein, Frau Feynberg, ist schon zu spät. Übertrieben zu spät. Sind Sie bereit?"
"Önder, kannst du bitte aufhören, mich verrückt zu machen??"
"Ja.. aber nein.. aber sind Sie bereit?!"

"Önder! Sprich endlich! Was ist passiert?"
"Die Hälfte der Klasse hat diesen behinderten Zettel für MSA vergessen."
Oh nein, bitte nicht... Ich fange an, leise zu zählen, wie oft ich gestern an das Schreiben erinnert habe und wie oft ich sagte, es sei wichtig. Bringt ja alles nichts. Es ist wie es ist.

"Aaaller Frau Feynberg, gucken Sie ma nicht so wie Tannenbaum im Winter. Ähmm, nicht Tannenbaum, der ist ja nicht nackt. Also im Winter nicht. Also, ich meine so normale Baum. Ohne Blätter. Sie wissen schon, also gucken Sie nicht so wie ein nackter Baum im Winter. Sie wissen schon."
Ich schweige. Mein Tag ist eigentlich schon gelaufen. Und er hat noch nicht mal richtig angefangen.

"Ich hab Ihre Stimmung zerstört... Soll ich Unterricht machen? Diese verrosteten Kinder, können die sich das nicht merken? Wie behindert die sind. Ich sag Ihnen, die können die Prüfung vergessen, diese Missgeburten, sollen sterben gehen!"

Mittlerweile sind wir in der Klasse angekommen. Hier tobt das Leben. Keine Prüfung in Sicht. Önder redet weiter. Dicht an meinem Kopf fliegt eine Papierkugel vorbei. Eine richtig große.
"Miiiirko!!"
"Was?"
"Kannst du bitte aufstehen, wenn du etwas wegschmeißen möchtest? Das ist hier kein Basketballfeld, sondern ein Klassenraum!"
"Ja und? Aber wenn ich doch Ordnungsdienst habe, dann kann ich doch schmutzig machen. Is doch egal. Ich mach Dreck, ich mach weg. Uuuuhhh, haben Sie gehört? Rapper undso? Was geht?"
"Mirko, fürs Rappen gibt es keinen Abschluss!"
Plötzlich wird Mirko still. Und seine Augen riesig. "Aaaaler, Scheißendreck! Dieses Hurenblatt, ich hab dem zu Hause!"
"Herzlichen Glückwunsch, du hast keinen Abschluss gewonnen!"
"Aaaler, machen Sie ma keine Scherze, is mein Abschluss."
"Eben!! Dein Abschluss! Nicht meiner! Und es ist mir ein Rätsel, wie man so ein wichtiges Blatt an dem letzten Tag überhaupt vergessen kann! Ein RÄTSEL!"
Es hat noch nicht mal zur Stunde geklingelt. Die Tür geht auf. Nafisa rennt rein.
"Tut mir voll leid, Frau Feynberg. Ich dachte, wir haben Raum 105 und dann waren Sie da nicht und dann bin ich Sekretariat und dann bin ich Lehrerzimmer. Und ich hatte voll Panik. Aber ich bin so gut, dann dachte ich, Sie sind bestimmt Klassenraum."
"Ist ja auch so überraschend, dass wir im Klassenraum sind. Außerdem habe ich doch nichts gesagt."
"Ah so... hat noch gar nicht geklingelt? Ich Opfer. Zum Glück schimpfen Sie nicht!"
"Hast du den Zettel für den MSA mit?"
"Cüüüs, nur heute oda?"
"Genau. Nur noch heute."
"Vergessen. Hab meine Mutter gar nicht gesehen. Was kann ich dafür, wenn die so spät kommt. Glaub, die hatte Spätschicht. Ich kann die doch nicht wecken, wenn die schläft."
"Nafisa! Du hattest mehrere Wochen Zeit!" Ich werde lauter, das darf doch nicht wahr sein..
"Mehrere Wochen.. Haben Sie gar nicht gesagt!"
"Stimmt, wir haben noch nie, kein einziges Mal über den MSA gesprochen!!"
"Ich gehe jetzt aber nicht nach Hause, Zettel holen. Is mieskalt draußen!"
"Schön, dass du dir anscheinend mehr Sorgen über das Wetter, als über deinen Abschluss machst!"
"Übetreiberin, aaaller!" sagt Nafisa ganz leise und läuft zu ihrem Platz. 
Prüfungen werden überbewertet. Die fallen einfach vom Himmel...

"Welches Thema hatten Sie in der Präsentationsprüfung?"
"Als ich Abi gemacht habe, gab's noch keine Präsentationsprüfung. Ich hatte nur eine einfach mündliche Prüfung und wurde abgefragt."
"Wann haben Sie denn Abi gemacht?? Steinzeit??"

"Nein, aber das spielt jetzt auch gar keine Rolle. Ich muss überlegen, was wir mit denen machen, die das Blatt vergessen haben. Ihr könnt schon mal Deutsch auspacken."
"Deutsch? Haben wir Deutsch?"

"Was steht denn auf deinem Stundenplan?"
"Deutsch.. Ah so, Deutsch.. Sagen Sie es doch gleich!"

"Könnt ihr bitte aufwachen und nicht verträumt durch die Schule laufen?? Ihr macht es für euch, nicht für mich! Ich habe meinen Abschluss schon!"
"Uuuh, läuft bei Ihnen Frau Feynberg!"

Donnerstag, 24. Oktober 2013

Thema, wa?

"Längst ist die Jägerprüfung anspruchsvoller als das Abitur."
Michael Marie Jung

Vorbereitung auf den Mittleren Schulabschluss heißt nicht nur Vokabeln lernen, sondern auch Termine einhalten und sich organisieren. Eigentlich müssen das die Schüler machen. Im Endeffekt mache ich das.
"Hallo, ihr Lieben. Was ist morgen für ein Tag?"
"Wochenende? Freitag? Ferien? Weniger Schule?"
"Genau, Freitag. Was müsst ihr morgen abgeben?"
Ratlose Gesichter.
"Denkt an den MSA..."
Ratlose Gesichter.
"Leeeeute!! Aufwaaachen! Die Präsentationsprüfung?!"
"Ah stimmt," antwortet Abdul. "Thema, wa?"
"Ja, morgen müsst ihr diesen Zettel abgeben." Ich halte das Formular hoch. "Hier muss stehen welches Thema ihr behandeln wollt, mit wem und von welchem Prüfer ihr euch prüfen lässt! Ihr bekommt dieses Blatt nur einmal. Passt gut darauf auf. Nicht knicken, nicht wegschmeißen, nicht als Schmierpapier benutzen!"
"Jaaa. Als ob das Platinpapier wäre. Platin ist doch das teuerste auf der Welt, was es gibt?"
"Auch wenn es nur Papier ist, ihr müsst das Ding in 24 Stunden abgeben."
"Hä? Bis morgen?? Haben Sie gaaaar nicht gesagt!"
"Doch, Nafisa, habe ich. Ungefähr 30 Mal. Und das ganze seit August. Morgen ist die Abgabe des Themas."
"Können wir nicht Montag machen?"
"Nein. Das ist eine Prüfung. Es gibt Fristen. Die müssen eingehalten werden."
"Scheiße. Können wir nicht erstmal Sitzkreis machen und erzählen wie unsere Ferien waren?"
"Timm! Die Ferien sind schon länger vorbei. Der Ernst des Lebens ist da, die Prüfung nämlich."
"Ah so.."

"So Leute, wer macht mit wem? Es ist eine Gruppenprüfung, ihr müsst mindestens zu dritt sein."
"Kann ich auch zu viert machen?"
"Mindestens drei, es sind also auch vier möglich."
"Warum nicht zu weit? Oder alleine? Ich will alleine oder zu zweit!"
"Weil es eine Gruppenprüfung ist. Alleine ist man keine Gruppe. Und zu zweit ist man ein Pärchen!"
"Iiiiihhhhhh, Sex und so?"
"Nein! Nur eine Prüfung!"

Wir verbringen eine Schulstunde mit der Gruppeneinteilung. Ein ganze Stunde. Mandy möchte nicht das einzige Mädchen in der Gruppe sein. Can möchte was über Kindersoldaten machen, die anderen Gruppenmitglieder interessieren sich aber für den Regenwald. Also müssen die Gruppen noch einmal gemischt werden. Abdul möchte gar keine Gruppe haben, weil er auch alleine alle Fragen beantworten kann. Antonio und Mirko wollen gar keine Prüfung machen, aber den MSA. Also muss man ihnen zuerst erklären, dass es den MSA ohne der Präsentationsprüfung nicht gibt. Nachdem sie es verstanden haben, brauchen sie ein drittes Gruppenmitglied. Es ist aber keiner mehr frei, also muss einer aus der Vierergruppe weg und zu den beiden gehen. Anstrengender, als in der 7. Stunde an einem Freitag, Ethik zu machen.

Nun haben wir die Gruppen. Jetzt brauchen wir Themen. Prüfungsfähige Themen.
Isabel möchte was in Bio machen. Vor 5 Minuten war es noch Kunst. "Ich will Dinosaurier machen. Ist doch Bio. Oder Erdkunde? Oder nein, ich will über Politik machen. Oder so."
"Ihr hattet viel Zeit, euch ein Thema zu überlegen. Politik oder so ist etwas ungenau. Finanzpolitik, Bildungspolitik, Gesundheitspolitik? Politik in Deutschland, in der Türkei, in Spanien?"
"Cüüs, wie Sie übertreiben! Aber Deutschland wird bist 2014 alle Schulden abgeben, wa?"
"Isabel, bleib bei der Sache! Mit welchem Thema möchtest du dich beschäftigen?"
"Jaaa, schlagen Sie mir doch mal vor! Ist doch ihr Job!"
"Nein, das ist nicht mein Job. Es ist dein Thema, du musst dich bis April mit dem Thema beschäftigen, es muss dich interessierten und es ist deine Prüfung!"
"Ah so.. na dann.. Kann ich noch bis morgen überlegen?"
"Neeeeein, wir brauchen h-e-u-t-e ein Thema! H-E-U-T-E!"
"Wie soll ich das heute schaffen???" Wir brauchen weitere drei Stunden, um alle Themen auszuformulieren. Ich habe das Gefühl, dass es meine Themen sind. Und meine Prüfungen. Danach bin ich fix und fertig. Ich will schlafen. Am liebsten bis zum Frühling. Winterschlaf.
"So Leute, jetzt haben wir es. Vergesst bitte die Unterschrift von euren Eltern nicht, die müssen den Zettel heute Nachmittag unterschreiben und ihr müsst ihn morgen abgeben. M-O-R-G-E-N!! Nicht vergessen! Ganz wichtig!"

Beim Rausgehen sehe ich den ausgefüllten Zettel von Mandy. Lehrer, Thema, Gruppe. Mandy ist längst weg. Das wird nichts mehr mit der Unterschrift der Eltern bis morgen...

Dienstag, 22. Oktober 2013

Pflaster aus Gold

“Gold ist Geld und nichts anderes.”
J.P. Morgan 

Mandy und Can haben heute ein Privatdate mit mir. Eigentlich nacheinander. Aber sie kommen zusammen. 
"Mandy, solltest du nicht erst in einer halben Stunde erscheinen?"
Statt Mandy, antwortet Can: "Aller, Frau Feynberg, ich schwör, Mandy, die ist Dick und Doof zusammen. Ich hab dir gesagt, Mädchen, du bist zu früh. Aber Frau Feynberg, diese Behinderte, die wollte nicht hören!"
"Frau Feeeeeynbeeerg, sagen Sie ma was! Wie der mich immer beleidigt. Ich mach doch Praktikum in Bäckerei. Ich hab mich voll verbrannt am Ofen- diese Hurensohn! Und dann musste ich früher gehen, weil ich hatte soooolche Schmerzen! Wow!"
Ich sehe, wie in Can für einen Moment Mitleid aufkommt: "War Blase?"
"Nein, aber war voooll dick! Hat zerstört, ich schwöre.." 
Schon ist es vorbei mit Cans Mitleid. Er kommt ganz nah an Mandy und betrachtet ihre Haare.
"Cüüüs, wie viel Schuppen du hast! Ich wette, du hast sogar in Augenbrauen Schuppen."
"Neeeein, sind keine! F-A-R-B-E. Ich hab versucht mit Farbe, aber ging nicht. Und dann hatte ich keine Zeit rauszuwaschen. Richtiger Lehrer, wie der alles merkt. Opfer, kauf dir Hobbies!"
Ich gucke genauer hin und tatsächlich. Da sind weiße Spuren. Ich frage mich, ob Mandy mit Tipp-Ex rumexperementiert hat. Aber eigentlich ist das jetzt unwichtig.


"So, genug gequatscht, jetzt seid ihr ja beide da. Zeigt mir bitte, was ihr für das Referat in zwei Wochen gemacht habt."
Can wühlt in seinem Rucksack. Und wühlt. Und wühlt. "Scheißendreck. Zu Hause vergessen. Aber is egal. Weil ich will ja zeigen wie man Reifen wechselt. Ich zeig es dann einfach so. In Klasse. Also hier."
"Can! Du bringst doch kein Auto her und zeigst uns, wie man Reifen wechselt.. Wäre natürlich schön, ist aber eher unwahrscheinlich."
"Ah so ja, geht ja nicht, wa?" Can ist geknickt.
"Mandy?"
"Was?"
"Deine Ordner? Wo sind sie?"
"Ah so.. Ordner.. Ja, hab ich in Bäckerei vergessen. Wissen Sie, was für üüübertriebene Schmerzen ich hatte? Wie bei Zahnarzt oda so... Nein, schlimmer!"
"Aaaler, wie Mongolei kann man eigentlich sein? Was gibt's schlimmer, als Zahnarzt?"fragt Can.
"Caaan! Erkläre du mir lieber, wie man Dreisatz rechnet?! Wenn ihr schon nichts für die Referate dabei habt."
"Drei.. was?"
"Dreisatz! Hat Mrs. Smith letztens mit euch wiederholt!"
"Hä, das war doch kein Dreisatz, das war irgendwas mit Dreiteilung.. Aber Frau Feynberg, ich muss doch nicht diese Dreisatz machen, wenn ich später Geld zähle.."
"Can, Geld zählen kannst du, wenn du Geld hast. Geld hast du, wenn du einen Job hast. Und einen Job hast du, wenn du einen Abschluss machst." Im Idealfall.
"Frau Feynberg... wer ist eigentlich reichste Mann von Welt?" überlegt Can total abwesend... "Bill Gates? Steve Jobs? Aber bestimmt ein Türke!" 
"Diese Geissens?" überlegt nun auch Mandy. "Wenn die sich Finger verbrennen, kriegen die bestimmt Pflaster aus Gold in Krankenhaus!"

Freitag, 27. September 2013

Kannst du nicht Eichhörnchen sagen?

"Mühsam nährt sich das Eichhörnchen."
Sprichwort

Die Kassiererin im Supermarkt hat mir soeben 'Schönes Wochenende' gewünscht und ich dachte: 'Ne, viel mehr! Nicht nur Wochenende, nein, ganze zwei Woche Ferien. Und ich habe sie verdient.'

Heute war jede Stunde wie Freitag 7. Stunde. Jede einzelne Minute war so. Und ich habe Sekunden gezählt, bis es endlich zu den Ferien geklingelt hat und bis Ranja, bevor sie die Klasse verlassen hat, mir zuflüsterte: "You are my lover teacher! Oder irgendwas sowas ..."

Davor allerdings, ging es drüber und drunter. Wir waren gerade bei Haupt- und Nebensätzen. 
Önder schaute sich die Aufgabe an und fing an zu fluchen: "Welche Missgeburt hat sich die Fragen ausgedacht? Ich schwör, ich fick dem, seine Mutter. Welche Behinderte hat die Fragen erfunden? Haben die Langweile? Was ein Scheißtext!"
Alles Wiederholung. Trotzdem kann keiner einen Hauptsatz von einem Nebensatz unterscheiden. Bis plötzlich Faruk draußen etwas entdeckte und schrie:
"Wie die da rumspringt! Macht die Akrobatik? Wie heißt dem? Aysch.. Aysch.." Alle sprangen auf. Wirklich alle. Und liefen zum Fenster. 
"Bist du dumm? Kannst du nicht Eichhörnchen sagen? Ist doch leichteste Tier überhaupt! Aber Frau Feynberg, wieso springt es so rum?"
Ich kam gar nicht dazu, zu antworten...
"Hat das vielleicht Drogen genommen?"
"Nein, ich weiß, das hat bestimmt ADS! Frau Feynberg, Sie erkennen das doch sofort, oder? Wenn jemand ADS hat, oder?"
"Hast du schon mal ein Eichhörnchen beim Psychiater gesehen, du Opfer?" Can ist total empört und ich auch. Ich will nämlich Unterricht machen. Deutsch, um genauer zu sein.
"Leute, setzt euch hin. Ihr habt gerade kein Bio, sondern müsst euch mit der Grammatik beschäftigen!"
"Aber ist der Tier da Mann oder Frau? Ist doch wichtig, um Diagnose zu machen, oder?" fragt Melina etwas unsicher.
"Melina, es ist das Tier!"
"Dem?"
"Nein, das Tier, nicht der. D.a.s."
"Ah so.. Was ne Show Sie hier machen. Wegen paar Artikel. Richtige Artikel nennen is wie Oskar bekommen oder was? Bin ich hier Brad Pitt oder was?"
"Das war ein Zeichen! Deutsche Grammatik wartet!"

Ich glaube es kaum, aber... die Kiddies beschäftigen sich anscheinend wieder mit Deutsch. Bis Antonio aufspringt und anfängt, hysterisch zu schreien. Und ich meine wirklich hysterisch. Als hätte er plötzlich einen Ausschlag bekommen oder Schmerzen oder oder... Er rennt durch den Raum und schreit. Die Klasse lacht. Genauso hysterisch, wie Antonio schreit. Ich verstehe gar nichts. 
"Antonio! Was ist denn mit dir los?"
"Aaaah, der Wespe, der Wespe! Geh ma weg wieder, du Missgeburt!" Er fuchtelt wie verrückt mit den Armen.
"Antonio! Das ist doch nur eine kleine Wespe!"
Önder pflichtet mir bei: "Hat der Angst vor der Mini-Wespe. Aller, Antonio, du bist Schrank im Vergleich zur Wespe! Aller, Junge, du bist Gangster!"
"Ja und? Aber wenn der Hurensohn mich beißt?! Ich habe dann Narbe fürs ganze Leben!"
"Antonio, wenn du wie verrückt durch den Raum rennst, macht es die Sache nicht besser!"
"Dooooch, ich renn doch dann weg vor der. Oder Sie machen telefonische Anruf und holen diese Wespenjäger. Ahhhh, jetzt. Biiiitte! Mieseste Angst gerade, ich schwör!"

Mittlerweile sind alle Fenster aufgerissen und ich bete, dass diese blöde Wespe endlich wieder rausfliegt und ich weitermachen kann. Meine Gebete werden erhört. Die Wespe verlässt den Raum. Antonio dreht sich dreimal um die eigene Achse. Nachdem er sich sicher ist, dass die Wespe weg ist, setzt er sich endlich hin.
"Apropos Grammatik. Antonio, warum denn der Wespe?"
"Hä? Is nicht der Wespe? Is doch auch der Stecher?!"



Donnerstag, 26. September 2013

Ist so, wie wenn ich Pommes rot-weiß bestelle?

Eine Koalition ist eine Vernunftheirat mit Flitterwochen in getrennten Schlafzimmern. 
Jean Marivaux

Feeerieeen! Wooo seid ihr? Zum Glück nicht so schrecklich weit. Nur noch einmal schlafen. Und ein paar kuriose Gespräche führen. So wie heute zum Beispiel.

Abdul und Timm kommen gehetzt in der Klasse an. Fünf minuten nach dem Klingeln.
"Wir sind gerannt um unser Leben!" rechtfertigt sich Timm.

"Das ist ja schön, aber es hat dennoch nicht gereicht. Setzt euch schnell hin."
Abdul beginnt noch im Laufen zu reden.
"Nach den Ferien ist doch Opferfest. Wa, Frau Feynberg?"
"Ja, Abdul. Wenn du vorhast, an dem Tag zu fehlen, dann brauche ich bis morgen bitte eine Entschuldigung deiner Eltern."
"Hä? Nicht vom Arzt?"
"Nein! Du bist doch an diesem Tag nicht krank, Abdul. Deswegen müssen deine Eltern quasi nur bestätigen, dass du diesen Tag feierst."
"Ah so... und wenn ich an dem krank bin?"
"Planst du da jetzt schon krank zu sein oder wie??"
"NEIN! Gar nicht! Was wollen Sie mir unterstellen?"
"Abdul, ich will dir gar nichts unterstellen. Ich möchte lediglich anmerken, dass wenn du das Opferfest begehen möchtest, ich eine Entschuldigung von deinen Eltern brauche. Oder Bestätigung oder nenne es wie du willst!"
"Wie ich will.. wie ich will.. Was das? Sonst kann ich nie entscheiden und heute schon? Feiertag oder was?"
"Genau, nämlich das Opferfest. An dem Tag kannst du..." 

Plötzlich mischt sich Önder ein. "Aller Junge, übertreib ma nich! Wie oft soll sie es noch erklären??"
Stimmt, wie oft soll ich das noch erklären?
Önder fährt fort: "Halt einfach die Fresse, Abdul, also nichts gegen dich! Aber halt doch einfach die Fresse!
"Aber moment..." Abdul überlegt.
Ich bin genervt. Es ist meine (und seine) Unterrichtszeit, die er hier verschwendet. Hauptsache, keinen Unterricht machen. Abdul merkt es.
"Wieso machen Sie so, Frau Feynberg? Ich habe doch das Recht zu reden!"
"Ja, hast du.. und auch das Recht zu lernen.. was du gerade nicht machst!"
"Haben Sie gerade gesagt, ich bin dumm? Als ob andere hier lernen!"
"Abdul! Hast du nun eine Frage oder nicht? Frage stellen oder für immer schweigen!"
"Für immer schweigen?? Das dürfen Sie..."
"Abdul!!"
"Ja, ja ok... Letztes Jahr war das doch unentschuldigter Tag bei mir. Das Opferfest."
"Wahrscheinlich, weil du mir nichts von deinen Eltern mitgebracht hast!"
"Ah so.. ja.. darf ich dann diesmal Entschuldigung für zwei Opferfeste bringen? Und auch für nächstes Jahr? Ah so... nächstes Jahr bin ich ja schon OSZ..."

"Abdul, solltest du noch Fragen haben, wir können sie gerne nach dem Unterricht klären. Jetzt würde ich gerne mit dem Thema beginnen. Welches Ergebnis haben wir nun, nach den Wahlen?"
"Die Mutti hat wieder gewonnen. Zum 3. Mal! Man kann doch nur zweimal, oder?"
"Helmut Kohl wurde sogar viermal gewählt!"
"Walla? Viermal? Hatte der keine Hobbies? Aber der heißt doch Helmut Köhler, oder? Der, der jetzt in Bayern gewählt wurde?"
"Das ist Horst Seehofer!"
"Neeeein!" Abdul ist von seiner Meinung mehr als überzeugt. "Ich meine Helmut Köhler. Kennen Sie den nicht?"
"Der ist doch tot?!" möchte Nafisa wissen.
"Meinst du vielleicht Horst Köhler, den ehemaligen Bundespräsidenten?"
"Neeein! Und noch was: Merkel muss doch jetzt überlegen mit wem die regiert. Und da gibt es doch so Farben. Ist so, wie wenn ich Pommes rot-weiß bestelle?"
"Wir lesen mal den Zeitungsartikel und danach wird hoffentlich einiges klarer. Abdul du liest bitte die zwei ersten Absätze und du, Isabel, die zwei letzten."
Abdul ist nicht einverstanden. "Nö, das mache ich nicht. Abdul macht keine halben Sachen und Abdul benutzt keine Rückseite. Merken Sie sich das, Frau Feynberg! Außerdem kann ich heute nicht lesen, weil ich dann nich höre, wenn andere mich auslachen."
"Warum hörst du denn nichts?"
"Ich höre nichts, weil meine Nase zu ist!"

Dienstag, 24. September 2013

"Wer bist du?"

"Ich habe 3 Kinder und kein Geld. Wieso kann ich nicht keine Kinder haben und 3 Geld?"
Homer Simpson

Ich möchte niemals in einem Kindergarten arbeiten. Und auch nicht in einer Grundschule. Das wird mir schlagartig wieder bewusst, als ich den Praktikumplatz von Parthena betrete. Es ist ein Kindergarten und es ist laut. Ich klopfe an die Tür. Mir macht ein kleines Mädchen auf. Sie trägt ein rosa Röckchen und eine rosa Brille, die perfekt zum Röckchen passt. Sie schaut mich ganz lange an, ganz eindringlich. Sie lächelt. Nach gefühlten 30 Minuten.
"Wer bist du?"
"Ich bin die Lehrerin von Parthena. Und wie heißt du?"
"Anna. Soll ich dir zeigen, wo Parthena ist?"
"Hallo Anna. Das wäre sehr nett." Ich weiß gar nicht, wie man mit solch kleinen Kindern redet, fällt mir ein.
Anna bleibt in der Tür stehen und bewegt sich keinen Schritt zur Seite.
"Weißt du? Parthy hat mit mir Pizza gebacken. Aber aus Knete. Lustig, stimmt's?" Anna lacht auf und guckt wieder ernst. Sie reicht mit ihre Hand. "Komm, da ist Parthy."

Parthena sitzt in einer Spielecke. Um sie herum sind drei Mädchen und zwei Jungen versammelt. Sie alle hängen an Parthenas Lippen. Parthena liest aus einem Buch. Ich könnte so stundenlang stehen und die Szene beobachten. Am liebsten würde ich sie fotografieren und das Foto allen anderen zeigen, die Parthena als schwierig und als nicht zu bändigen bezeichnen. Und ich muss zugeben, es gibt noch eine andere Parthena. Eine, die vorlaut und aggressiv ist. Eine, die lauter Schrei- und Lachanfälle im Unterricht bekommt. Die hier mag ich viel lieber.
Anna geht zur Parthena und tippt sie an: "Guck ma, wer daaaa ist!" 
Parthena ist überhaupt nicht genervt. Im Gegenteil, sie lächelt und guckt hoch. "Hä? Heute?"
"Klar, heute. Ich habe doch meinen Besuch angekündigt! Können wir in eine ruhige Ecke gehen?"
Auf dem Weg flüstert Parthena mir zu: "Dieses eine Mädchen gerade, die hat was mit ihrem Auge. Die sieht voll beschwommen. Voll die Arme! Ich hab eh voll die Asylantengruppe. Anna ist auch halbasylantisch. Und alle anderen vollasylantisch. Die stellen manchmal voll die unnötigen Fragen, so was wie 'Parthy, kannst du kochen?' Voll unnötig, als ob ich denen hier so ein 3-Gänge-Menü machen würde!"


Als wir uns durch die Kinder durchgekämpft haben und endlich in einem leeren Raum ankommen, versteht Parthena immernoch nicht, was passiert.

"Aber heute ist doch Streik, oder?"
"Ja."
"Und was machen Sie dann hier? Ich dacht, Sie gehen da mit Plakaten, rumschreien."
"Jetzt besuche ich ja dich. Zeig mir deine Ordner bitte."
"Aber ich hab noch eine Frage. Sie haben uns doch letztens erklärt, Sie wollen mehr Rechte.. wie diese... wie heißen die?"
"Beamte."
"Genau. Und dann wollen Sie doch, dass man Ihre Gehalt irgendwo .. wie heißt das dings? Aufschreibt.."

"Ja, wir möchten einen Tarifvertrag haben."
"Ahhh, stimmt das haben Sie doch letztens erklärt. Und dieses Ding verhandelt für Sie! Arbeitsamt?"
"Nein."
"Schulamt?"
"Nein."
"Lehramt?"
"Nein."
"Al-Quaida?"
"Was?? Wie kommst du denn auf die jetzt?"
"War nicht richtig, wa? Was macht die Al-Quaida eigentlich?"
"Auf jeden Fall nichts, was den angestellten Lehrern bei ihren Forderungen helfen könnte. Für uns verhandelt eine Gewerkschaft."
"Gewerkschaft? Das haben Sie niemals gesagt, dieses komische Wort!"
"Klar, Mrs. Smith und ich haben euch das ganze Prozedere schon einmal erklärt!"
"Aber, Frau Feynberg, wenn Sie mehr Geld wollen... Mandy macht doch Praktikum beim Friseurladen. Die sagt, eine Visagistin verdient überviel. Reicht locker für Porsche und Villa!"

Nachdem ich nun Kindergarten für mich ausschließen kann, muss ich mir ernsthaft Gedanken über den Beruf der Visagistin machen..

Sonntag, 22. September 2013

"Verkaufsoffen mit Sale?"

"Ohne Sonntag gibt's nur noch Werktage!"
Unbekannt.

Deutschland wählt. Meine Schüler werden auch bald wählen können. Viele von ihnen zumindest. Sehr bald. Bei uns war also schon am Freitag Wahltag.

"So ihr Lieben, was passiert denn an diesem Sonntag in Deutschland?"
"Verkaufsoffen mit Sale?"
"Nein, Mandy. Ganz falsch." 
Abdul weiß es besser. "Aller, du bist so dumm! Wahlen, es sind Wahlen am Sonntag. Hast du nicht überall in der Stadt diese hässlichen Plakate gesehen?"
"Sehr gut, Abdul. Wen wählen wir denn am Sonntag?"
"Ähmmm, Klaus Wowereit?"
"Nein."
"Präsident von ..."
"Nein."
"Cüs, Frau Feynberg, ich eskaliere gleich! Jetzt sagen Sie schon!"
"Wir wählen den Bundestag und somit auch den Kanzler!"
"Bundes... was? Was das für ein Name?"
"Ok... Leute... Wir fangen ganz von vorne an. So etwas müsst ihr wissen! Wie Politik im eigenen Land funktioniert, gehört zum Allgemeinwissen. Und Allgemeinwissen müsst ihr haben, wenn ihr euch um einen Ausbildungsplatz bewerbt."
Mirko versteht das überhaupt nicht. "Wieso brauch ich denn Allgemeinwissen? Kann man sich von Allgemeinwissen was kaufen??"
"Ganz oft einen Ausbildungsplatz! Aus wie vielen Bundesländern Deutschland besteht und wie dazugehörigen Haupstädte heißen, erwartet heutzutage bestimmt jeder zweite Ausbilder!" Ich hoffe, ich habe Recht mit meiner Aussage, aber irgendwie muss ich die Kiddies doch davon überzeugen können, dass Wissen tatsächlich Macht verleihen kann.
"Haupstädte, Allgemeinwissen? Niemals! Das doch Erdkunde!"
"Nenne es wie du willst, Mirko! Es schadet nicht, diese zu kennen!" 
Mirko seufzt. "Na gut, dann lern ich halt diese fünf Länder auswendig. Und die Hauptstädte."
"Mirko, es sind 16."
"16? Ihr Ernst? Und die muss ich mit Hauptstädte kennen?! Können wir nicht normale Länder machen?"

"Ihr bekommt jetzt ein Arbeitsblatt, holt doch schon einmal den Marker raus! Wer möchte austeilen?"
Schweigen. Alle gucken nach unten.
"Can, hier die Blätter. Los geht's!"
"Wie Sie mich immer mobben!"
"Warum steht denn da 'Von Bonn nach Berlin'? Welche Rolle spielte Bonn vor der Wiedervereinigung?"
Schweigen.
"Bonn war mal die Hauptstadt von Deutschland. Berlin aber auch."
"Hä? Zwei Hauptstädte ohne Sinn... War Berlin die Hauptstadt von diesem alten, großen Reich?"
"Neeein, ich weiß!!" schreit Melina, "Bonn war die Hauptstadt von Berlin und Berlin war die Hauptstadt von Deutschland!"
"Habt ihr denn schon mal etwas vom Kalten Krieg gehört?"
"Der in Sibirien?" Langsam verstehe ich, dass ich viel zu viel von ihnen verlange und beschließe zu erfragen, was sie überhaupt wissen. Hilfe, wo soll ich anfangen?!

"Der Zweite Weltkrieg endete ja 1945."
"Ich hab geguckt im Fernsehen, dass der Dritte Weltkrieg bald kommt. Wegen Syrien. Stimmt es?"
"Lasst uns erst mal das eine Thema beenden. Also Deutschland hat den Zweiten Weltkrieg verloren und wurde befreit. Die Sieger teilten sowohl Deutschland als auch Berlin unter sich auf." Oh man, wie soll ich jetzt mehrere Jahre und komplizierte Prozesse ganz schnell erklären?! "Berlin wurde zum Beispiel von der Roten Armee, von den Sowjets, befreit. Teilweise kann man an manchen Gebäuden noch heute die Einschusslöcher sehen."
Serkan schnippt mit dem Finger und schreit: "Ich weiß, ich weiß. Bitte nehmen Sie mich dran!"
"Serkan?"
"Das waren die Hells Angels, die Berlin befreit haben, wa?"
"Ähmmm... da verwechselst du bisschen was..." Was soll man darauf auch antworten, wenn es eigentlich um den Zweiten Weltkrieg geht?
"Also, wen wählt man noch mal am Sonntag?" Ich bin Mandy für diese Frage äußerst dankbar, weil ich so aus der Hells-Angels-Nummer nicht rausgekommen bin. "Diesen Präsidenten Gauck?"
"Hä? Ist nicht Wulff dieser Präsident?" Alle rollen mit den Augen und Abdul versteht die Welt nicht mehr. "Hä? Seit wann ist der nicht mehr?"
"Schon länger nicht mehr, Abdul ..."
Jetzt meldet sich Önder. "Kann die Merkel dann eigentlich machen, was die will? Wenn sie diese Hauptfrau bleibt?"
"Nein, dafür haben wir in Deutschland die Gewaltenteilung. Hat jemand schon mal diesen Begriff gehört?"
"Ja ich," sagt Melina sehr selbstsicher, "irgendwas mit psychisch und physisch, wa?"
"Nein..." Den Rest der Stunde verbringe ich mit der Gewaltenteilung. Irgendwo muss man ja anfangen. 
Mirko ist absolut geschockt von der Komplexität der Politik.
"Ey, Frau Feynberg, woher wissen Sie das alles?"
"Ich habe unter anderem Politik studiert..."
"Cüüüs, war Ihnen langweilig?"
Völlig fertig gehe ich aus der Stunde raus und realisiere, wie sehr ich die Ferien herbeisehne.

Nach der Pause gehe ich auf dem Weg in den Unterricht am Sekretariat vorbei und sehe Melina und Isabel.
"Was macht ihr denn hier?"
"Wir sollen zum Direktor."
"Oh nee! Wieso das denn?"
"Ich hatte Stress mit der Englischlehrerin," sagt Isabel.
"Und ich hatte was mit dem Hausmeister," fügt Melina hinzu.


Donnerstag, 19. September 2013

"Dumme Bücher! Besser?"

"Schockt eure Eltern - kauft Bücher!"
Unbekannt

Unser neues Baby ist da. Ich komme rein in die Klasse und erblicke es sofort. Ist auch schwer, das Ding zu übersehen. Das neue, saubere, glänzende Smartboard hängt auf der Wand. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Ich liebe die neue Technik. Filme, Fotos, Diagramme, viele-interaktive-Dinge-die-die-Welt-nicht-braucht. Die Welt nicht, aber ich. Unterricht ist einfach angenehmer mit dem Ding und moderner und vielfältiger. OH-Projektor, wie ging das nochmal?

Meine Freude verfliegt schlagartig, als Can in die Klasse kommt, Anlauf nimmt, zur Tafel sprintet und seine Hand auf die weiße Oberfläche klatscht.
"Is touchscreen??"
"Caaaan, fass das Ding nicht an! Es ist megateuer!"
"Wie viel? Eine Million?"
"Das spielt überhaupt keine Rolle, wie viel. Fakt ist, die Tafel soll laaaange leben und Fakt ist, dass du die Reparaturkosten sicher nicht zahlen willst und wahrscheinlich auch nicht kannst?"
"Woher wissen Sie? Gangsta?"

Plötzlich stehen alle am neuen, gänzenden Smartboard. Zum Glück möchte es nicht jeder anfasen. Wahrscheinlich war meine Warnung an Can doch deutlich. Dafür stellt Timm die nächste Frage, die mich leicht verunsichert.
"Ey, Frau Feynberg, glauben Sie, ich kann das Ding so nehmen und wegtragen?" 
Was soll ich darauf bloß antworten. Zum Glück hilft Önder: "Cüüs, Junge, hast du Herkules gefrühstückt? Denkt der, der wär Rocky!"
"Ich bin stark, willst du sehen?" 
Ich muss mich dringend einmischen: "Ich möchte sehen, dass ihr alle euch zu euren Plätzen bewegt und die Unterrichtsmaterialien rausnehmt."
"Gucken wir kein Film? Wieso geben die sonst so viel Geld für dieses Technikding aus, wenn wir eh mit diesen Scheißbüchern arbeiten müssen?!"
"Weil du auch lesen können musst. Und schreiben. Und nett sein auch noch."
"Hä?"
"Vergiss es! Und weil wir gerade beim konstruktivem Diskutieren sind: Scheißbücher ist nicht sachlich."
"Aller, sachlich... sachlich.. was sachlich? Bei uns gibt's nicht sachlich! Schelle und fertig! Dumme Bücher. Besser?" Ich rolle mit den Augen. Aufpassen im Unterricht wird eindeutig überbewertet!
Nafisa schlägt das Buch auf und fängt an zu lesen. Dieser Zustand dauert nicht allzu lange an. "Aaaaller, welche Misgeburt hat sich diesen Hurenfragen ausgedacht? Woher soll ich denn das wissen, was die von mir wissen wollen? Haben die Langeweile? Ich schwöre... was für Text die erfinden. Dieser Scheißtext, ich fick dem seine Mutter..."
"Ey, Mädchen, deine Sätze sind so ohne Sinn. Denk doch ma nach, Mädchen!" Ich muss Serkan zustimmen, viel Sinn ergibt das nicht, was Nafisa gesagt hat. Aber mir glaubt ja keiner.

Ich verbirnge also die Stunde damit, zu erklären, warum wir diesen Text lesen müssen und keinen Film gucken können. Bis es endlich klingelt. Gerade in diesem Moment ist Önder in den Text vertieft. Er guckt zum Lautsprecher und schreit: "Nerv ma' nich'!" Zum Glück bin nicht nur ich der Übeltäter.

Mittwoch, 7. August 2013

Endlich mal ein normaler Mensch!


„Zwischen Bafög und Rente sollte wenigstens ein kleines Stück Arbeit liegen.“
Unbekannt

"Mrs. Johnson! Haben Sie diese Drecksgewitter gehört? In der Nacht? Aaaaler, meint die es ernst?"
"Wer die, Serkan?"
"Gewitter!"
"Das Gewitter. Mist, habe vergessen zu fragen, ob das Gewitter es ernst meinte... Wenn ich das Gewitter also noch einmal treffen sollte, hole ich die Frage nach."
"Boah, ich mach nur ein Fehler und Sie veranstalten hier Show. Wenn ich die ganze Zeit zu Ihnen gucken würde, würde ich auch voll viele Fehler bei Ihre Sprache entdecken! Übertrieben... Ok, egal. Aber heute wird auch Gewitter. Sagt mein Iphone."
"Na dann... Unterhalten wir uns doch lieber über das Praktikum." Fragender Blick. Serkan weiß gar nicht, was ich von ihm möchte.

"Ihr solltet euch bereits in den Ferien einen Praktikumsplatz suchen und dieses spätestens heute angeben. Warst du erfolgreich?"
"Nein..."
"Serkan! Sechs Wochen Zeit!"
"Ja, was kann ich dafür?"
"Für die sechs Wochen kannst du in der Tat nichts, die wurden so festgelegt. Aber für deine Faulheit kannst du wohl was!!"
"Wieso beleidigen Sie mich denn? Ich will unbedingt bei Kindergarten machen und die sagen alle, die wollen keine Praktikanten."
"Gerade in Kindergärten ist es supereinfach einen Platz zu bekommen, du musst dich nur etwas anstrengen! In wie vielen Kindergärten hast du denn schon nachgefragt?"

"Gar nicht."
"Na siehst du!"
"Jaaa, aber Isabel hat gesagt, ist eh ohne Sinn. Die hat auch gefragt und die wollten nicht."
"Isabel, du willst dein Praktikum auch im Kindergarten machen??"
"Ja, ich liebe Kinder voll." Isabel nickt heftig.

"Mensch Leute, es gibt so viele tolle Berufe und euch zieht immer wieder zu denselben. Welche  aussergewöhnlichen Berufe kennt ihr denn noch? Vielleicht sammeln wir Ideen?!"
"Friseur."
"KFZ-Mechaniker."
"Krankenschwesterin."
"Leute! Ungewöhnliche Berufe bitte! Parthena?"
"Also meine Mutter ist Sekräterin. Wie heißt der Beruf?"
"Das ist Kauffrau für Bürokommunikation. Önder, war das eine Meldung?"
"Ja. Ey Parthena, hat deine Mutter eine Brille?"
"Nee..."
"Hä? Wie ist die dann Sekretärin? Geht doch gar nicht..." Das überhöre ich. Keine Zeit. Die brauchen alle Praktikumsplätze.


"Welche Berufe gibt es denn noch in euren Familien?"
"Mein Opa, der war irgendwas in der Fabrik..." Sehr präzise...
"Da müsste man genauer gucken, was er gemacht hat und wie der Beruf heißt."

"Die, die in Fabriken arbeiten, das sind doch immer Gastarbeiter, oder? Kann man sagen, Beruf 'Gastarbeiter'?"
"Nein, nein, nein, Mandy. Aber das erkläre ich euch ein anderes Mal." Oder gebe dir als Hausaufgabe auf, herauszufinden, wen man als Gastarbeiter bezeichnet.
Mandy fährt fort: "Mein Vater, der ist Zimmerer, aber ich weiß nicht genau, was das heißt."
"Kann das jemand erklären? Melina?"
"Ist das vielleicht jemand, der so an die Tür klopft und dann sagt: 'Haaallooo, Zimmer-Service?"
"Nicht ganz. Das ist jemand, der mit Holz arbeitet. Nennt mir doch mal drei Ausbildungsberufe. Isabel, wie wär's mit dir?"
"Pornostar, Zuhälter und Rechtsanwalt." antwortet Isabel total selbstbewusst. 

Ich komme nicht dazu, zu antworten, denn Roya schreit: "Mein Onkel, der ist Psychologe. Aber der arbeitet, nicht so wie die Tante, die immer herkommt, mit Kindern..."

"Schulpsychologin. Weiter..."
"Ja mein ich. Der arbeitet mit erwachsenen Menschen. Also wenn Sie Probleme haben, ich kann Termin machen."
"Cüs... Mit Erwachsenen?! Ey stell dir vor, da kommt so ein Mann, der ist 63. Und dein Onkel, der umarmt ihn dann so und sagt: 'Na, du Kleiner, wie geht's dir heute?" Die Klasse brüllt und Önder fühlt sich als Held.
"Aller, Önder, Junge, lach ma nicht so. Ein Psychologe ist der! Endlich ma ein normaler Mensch!" sagt Roya und scheint sehr stolz auf ihren Onkel zu sein.  
Nur wie hilft das jetzt bei der Praktikumsplatzsuche?!


Dienstag, 6. August 2013

Diese rothaarige, wa?

Lass dich nicht unterkriegen, sei frech und wild und wunderbar!

Astrid Lindgren (aus Pipi Langstrumpf)

"Ey, Mrs. Johnson, Sie sehen aus wie diese... diese Lady... wie heißt die Missgeburt nochmal?"
"Diese wer? Melina, du musst schon bisschen genauer werden!"
"Aaaler Mrs. Johnson! Sie haben ja gar kein Plan. Diese eine Mädchen aus dem Film- diese... Aschenputtel." Ich gucke auf mich runter und versuche zu verstehen, was an mir an Aschenputtel erinnert. Hose- nein. Turnschuhe- nein. Vielleicht roter Nagellack? 
Melina bemerkt die Fragezeichen in meinem Gesicht. "Wegen Ihre Zöpfe!"
"Ah so, wegen der Zöpfe! Dann meinst du vielleicht Pipi Langstrumpf!"
"Ja genau, so heißt die. Diese rothaarige, wa?"

Melina bereut das Gespräch sogleich, denn die gesamte Klasse lacht sich über sie kaputt.
"Mädchen, bist du behindert? Hättest mal bei Internet nachgeschaut, bevor du so dumme Fragen stellst!"
"Mrs. Joohnson! Haben Sie gehört? Abdul macht mich hier fertisch!"
"Nicht nett, Abdul! Aber es ist ein guter Punkt, den Abdul hier anpricht. Ihr müsst euch auf jeden Fall informieren, bevor ihr irgendwelche Inhalte verbreitet oder präsentiert. Das ist ja auch in der Schule immer wieder ein Thema. Deswegen sage ich auch immer, dass ihr die Quellen angeben sollt, die ihr benutzt!"
Abdul stellt sich vor mich. Irgendwie ist er über den Sommer größer geworden. "Mrs. Johnson! Ich bin die Quelle! Rufen Sie mich an, wenn Sie was wissen wollen. Sie haben ja meine Nummer!"

"Erst einmal möchte ich nur wissen, wie eure Ferien verlaufen sind. Was habt ihr unternommen?"
Pascal seufzt: "Wie unternommen. Gar nix hab ich gemacht. 6 Wochen Berlin. Geht."
"Warst du nicht mal Schwimmbad?", möchte Can wissen.

"Das heißt, warst du nicht mal in Schwimmbad!", bemerkt Mandy.
"Wenn ihr es genau wissen wollt, es heißt, warst du nicht mal iM Schwimmbad!"
"Wieso übertreiben Sie immer so, Mrs. Johnson?"
"Weil ich die Übertreibungswissenschaft studiert habe, Can. Und wirklich, Pascal. Warst du in den Ferien Schwimmen?"

"Doch war ich. Da, bei Columbiaschwimmbad."
Önder springt auf. "Columbia? Also das würde ich wiklich nicht empfehlen. Gehen Sie da niemals hin, Mrs. Johnson. Das Ding ist voll von Kanakenmenschen!"
"Danke für die Info. Möchtest du vielleicht Pascal noch etwas fragen?"
"Nein, ich möchte Sie noch etwas fragen. Waren Sie in Ferien wieder neue Air Max kaufen? Da, bei Ku'damm?"

Montag, 5. August 2013

Dissmaschine

„Homer ich höre deinen Sarkasmus bis in de Küche rüber und das obwohl die Spülmaschine läuft.“

Marge Simpson

Ich habe kaum geschlafen. Ich weiß auch nicht, warum. Hitze, Gedanken, Aufregung. Neues Schuljahr, neue Schüler, neue Kollegen. Früher konnte ich das noch: wenig schlafen und den nächsten Tag durchpowern. Heute: wenig Schlaf, Produktivität gleich null. Alt halt.
Ich habe also das Gefühl zu schlafwandeln, als ich zusammen mit Mrs. Smith die Klasse betrete. Mich weckt auch keiner. Erstmal nicht. Die sitzen alle da. Alle. Und unterhalten sich. Wie normale Menschen. Schlagartig werde ich wach. Irgendwie sind die süß. Irgendwie ist es schön wieder in der Schule zu sein. Außerdem haben wir heute nur einen kurzen Tag. Ich bin also motiviert und absolut aufgedreht.
"Was ist denn mit euch heute los? Wer seid ihr denn? Kennen wir uns?"
"Cüs, Mrs. Johnson, in Ferien Dissmaschine geworden oda was? Wie Sie uns dissen!"
Ich bin wieder da. Meine Schüler sind wieder da. Ich muss lächeln. Immer wieder.
Mrs. Smith hört nicht auf zu fragen, warum ich so gut gelaunt bin.

Wir haben neue Schüler. Eine neue 9te. Schüler, die sich genauso wie unsere "Alten", für die mehrheitlich praktische Schulform entschieden haben. Die gucken noch ziemlich verunsichert und warten gespannt, was jetzt passiert. Nach paar Begrüßungsworten geht's los.
"So, Ihr Lieben. Einmal aufstehen zum Kennenlernen!"
"Hass des Grauens!" ruft Önder aus und ich fühle mich wieder wie zu Hause. "Wieso denn Aufstehen? Ich stand schon die ganzen Ferien voll viel. Ich wurde von meiner Mutter geknechtet. Mach dies, mach das. Küche und so. Wenn die mich wenigstens zahlen würde! Die denkt auch, die ist Chef. Ich kann doch allen auch so 'Hallo' sagen, wenn ich sitz!" Er dreht sich zu Ebo um und schreit: "Ey, du Knecht. Willkommen bei uns! Wenn du Probleme hast, sagst du Bescheid!"
Ebo weiß überhaupt nicht, was er antworten soll. Ist auch zugegebenermaßen nicht ganz einfach.
"Önder! Du sollst ihn nur begrüßen und ihn nicht gleich beleidigen!"
Önder will es nicht verstehen und fragt Ebo: "Ebo, gib ma zu, du warst nicht beleidigt?! War nur ein Witz. Macht man mit dir oft Witze? Sei ma nicht sauer, Ebo. Wir machen hier über alle Witze."
Wie beruhigend... Jetzt fühlt sich Ebo gleich viel wohler in der Klasse!

Nachdem das Witzemachen legitimiert wurde, veranstalten Mrs. Smith und ich ein Kennenlernspielchen. Fragen, Antworten, mehr übereinander erfahren. Und es funktioniert! Sie reden miteinander, hören einander zu, wir hören keine einzige Beleidigung. Der Lieblingstag von Can ist Wochenende. Serkans Bruder ist vom Beruf Geschäftsmann, seine Schwester ist vom Beruf verheiratet. Melina kennt nur einen deutschen Schriftsteller, nämlich Astrid Lindgren. Parthena möchte von Timm wissen, ob sie die Haare lieber offen oder in einem Zopf tragen soll. Magda ist der Überzeugung, dass Google nicht alles weiß, aber Mirko weiß es besser. Denn Google kennt sogar Brutos Brutaloz. Ich kenne ihn nicht. In Mirkos Augen weiß ich also auch nicht alles, wenn ich Brutos Brutaloz, den überbekannten Rapper nicht kenne.
Es läuft. Das sind eben die wichtigen Dinge, die man wissen muss, um sich kennenzulernen.

Vielleicht sind sie erwachsener geworden? Erwachsener, als letztes Jahr? Schließlich sind wir in der 10. 

Nach der kleinen Auseinandersetzung mit Önder freue ich mich, wieder in der Schule zu sein. Und Mrs. Smith fragt mich wieder, warum ich so gut gelaunt bin.