Mittwoch, 26. Februar 2014

Wie ein russischer Hund

"Der größte Schauspieler der Welt ist mein Hund. Wenn er Hunger hat, tut er so, als ob er mich liebt."
Marlon Brando

Heute ist ein echt schöner Tag. Die Sonne scheint, der Frühling kommt, wärmer wird es auch langsam. Mein Tag beginnt heute erst mit der 4. Stunde. Ich bin gut gelaunt. Das Problem ist, meine Schüler sind es auch. Und denken an alles. Außer Unterricht.
Zuerst begegne ich Abdul. "Uuuh, Frau Feynberg, auch schon da? Ausgeschlafen?"
"Abdul, nur weil ich erst jetzt zur Schule komme, heißt es nicht, dass ich vorher nicht gearbeitet habe."
"Aaalleeer, Frau Feynberg, geben Sie ruhig zu. Sie haben bis gerade geschlafen? Ich sehe es an Ihren Augen."
"Aha. Und was genau siehst du in meinen Augen?"
"Die sind so gechillt. Obwohl... Sie sind immer gechillt. Ich glaube, Frauen sind eh immer gut gelaunt. Außer eine Woche im Monat."
"Abdul, du Spasst, du Elender! Wie der Frauen beleidigt. Cüüüsss, Übertreiber!" ruft Nafisa empört.

Ich schaue mich um und sehe, dass Can an der Tafel steht. In der Hand hält er Karteikärtchen. Er möchte eindeutig etwas zum Unterricht beitragen. Toll. Jemand, der doch an Unterricht denkt.
"Guten Morgen, Can. Was machst du da?"
"Ich will Gruppenarbeit machen. Weil ich war doch letztes Mal nicht da. Und Antonio hat gesagt, die konnten nur wegen mir nicht machen. Jetzt will ich aber. Ich bin ja da."
"Can, du hattest verschlafen!"
"Ja und? Ich hab doch Entschuldigung geschrieben. Hier." Er reicht mir ein zusammengeknülltes Blatt. 
"Can, ich werde dein Verschlafen nicht entschuldigen. Verschlafen kann man nicht entschuldigen."
"Aber ich hab doch Entschuldigung geschrieben. Soll ich noch mal schöner schreiben? ich schwör, ich kann!"
"Can! Du hast verschlafen! Du warst nicht beim Arzt, du warst nicht krank. Du! Hast! Verschlafen! Du kannst mir höchstens eine schriftliche Ausarbeitung deines Referates geben. Wenn ich nett bin, korrigiere ich die. Aber du kannst jetzt nichts präsentieren. Jetzt brauche ich die Zeit für ein anderes Thema."
"Was Sie für ein Film hier machen! Nur wegen einmal verschlafen..."
"Can, du warst alleine in der letzten Woche zweimal zu spät. Vom letzten Halbjahr rede ich gar nicht. Besitzt du keinen Wecker oder wo liegt das Problem?"

Can geht mit keinem Wort auf meine Frage ein. "Biiiitteeeee, lassen Sie mich präsentieren. Soll ich noch eine Entschuldigung schreiben?"
"Nein. Du sollst pünktlich kommen. Am besten fünf Minuten vor dem Klingeln."
"Cüüüs, fünf Minuten? Soll ich vielleicht in der Schule übernachten?? Sie haben zerissen!"
"Can, ich habe noch nie verschlafen. Ich bin jeden Tag mindestens eine halbe Stunde vor dem Unterrichtsbeginn da! Von dir verlange ich nur fünf Minuten."
"Wie Sie zerreissen! Reicht doch. Wie ein russischer Hund. Gibt's russische Hunde?"

Dienstag, 25. Februar 2014

Sooo tooodesviele Aufgaben


"Aufgabenstellung: Erklären Sie die Welt und geben Sie zwei kurze Beispiele."
Unbekannt


Max hat sich beim Tischler um einen Ausbildungsplatz beworben. Das Vorstellungsgespräch war härter als gedacht. Der Ausbilder wollte nämlich von Max wissen, wie der jetztige Bundespräsident heißt und welcher Partei Angela Merkel angehört. Die Partei hat er noch hinbekommen, beim Bundespräsidenten wurde es schon schwieriger. Ob er nun diesen Ausbildungsplatz bekommt, weiß Max noch nicht. Der Chef wirkte wohl nicht so begeistert. Allgemeinwissen sollte man haben, sagte er. Und die Namen der wichtigsten Politiker kennen. Die Schwerpunkte der politischen Parteienprogramme wären auch nicht schlecht. Man müsse doch wissen, was momentan in seinem Land geschieht. Irgendwo geschieht es ja auch gleichzeitig mit einem selbst, wenn die Politiker was bestimmen. Recht hat er, finde ich. Obwohl das Gespräch gestern war, ist Max' Schockzustand noch allzu gegenwärtig. 
"Was hat denn das mit Tischler zu tun? Hat Holz auch eine Partei oder was? Warum muss ich denn sowas wissen?" Finde ich super, dass Max vor der gesamten Klasse seinen Emotionen freien Lauf lässt. Ein Fallbeispiel am eigenen Leib erfahren. Eine Ausbildung zu finden, ist wohl doch nicht so einfach, wie viele hier denken. Und die Devise "wird schon" kann man wohl auch nicht immer anwenden.

Da ich spontan und flexibel bin, reagiere ich sofort auf das politische Desaster. Nach einer kurzen Umfrage, verstehe ich, dass kein einziger in diesem Raum außer mir dieses Vorstellungsgespräch überlebt hätte. Zum Glück haben wir Internet und ich weiß, wo ich suchen muss. Also gucke ich auf einer schlauen Seite und finde ein schlaues Filmchen.
"Oh nee, muss das sein? Fernsehen kann ich zu Hause gucken!" meckert Mirko. "Können Sie mich mal wecken, wenn der Film vorbei ist?"
"Mirko! Zu Hause guckst du bestimmt nicht diese Art von Fernsehen."
"Doooch, ich guck auch mal Nachrichten. Kennen Sie diese bei RTL 2?
"Kenne ich. Und genau deswegen solltest du dir auch andere Sendungen anschauen. Wenigstens ab und zu. Also, Augen auf! Und damit ihr genau hinguckt, gibt es noch ein Arbeitsblatt zum Film."
Zum Glück habe ich meinen USB-Stick mit und somit auch meine Arbeitsblattsammlung. Für jeden Fall des Lebens. 
Mandy bekommt das Blatt zuerst. Mit ganz großen Augen dreht sie das Blatt hin und her. Hin und her. "Abou, ich dreh die Seite so um und da sind sooo toooodesviele Aufgaben! Alles nur wegen dir, Max!"
Auch Önder ist derselben Meinung. "Können wir nicht nur Film gucken? Film gucken UND Fragen machen. Bin ich Frau oder was, dass ich telefonieren und Finger lackieren auf einmal kann??"
"Du hast die Aufgabe falsch verstanden. Du sollst nur den Film gucken und ein paar Fragen beantwortet. Von Nagellack war nicht die Rede! Auch nicht vom Telefonieren! Wenn du aufmerksam guckst, ist die Aufgabe quasi schon gelöst!"
Önder legt das Blatt demonstrativ zur Seite.
"Kommt schon Leute! Ich verlange doch hier keine Matheabiturklausur von euch. Önder!"
"Neeeein. Ich verspreche Sie, ich guck und zu Hause mach ich die Hurensohnfragen. Ich kann das Sie auch beweisen. Jetzt noch."
"Ah ja? Und wie?"
"Ich kann schwören!"
"Danke. Aber nein."
Nach vielen Diskussionen, drücke ich auf Play. Kaum jemand hält einen Stift in der Hand. Wenige gucken wirklich den Film. Melina guckt in den Spiegel und unterhält sich dabei mit Mandy. Nicht wirklich leise.
"Melina! Pack den Spiegel weg und guck den Film!"
"Was stört Sie denn? Ich hab nur bisschen meine Lippe angeguckt. Aber nur bisschen. Sie können doch weitergucken!"

Nicht mal Max' Erfahrung bringt die Schüler zur Einsicht. Auch das lebendigste Beispiel ist nicht lebendig genug.

Donnerstag, 20. Februar 2014

Sie stehen in der Sonne


"Was hilft aller Sonnenaufgang, wenn wir nicht aufstehen."
Georg Christoph Lichtenberg 

Gestern gab es Gruppenarbeit. Heute gibt es Präsentationen dieser Gruppenarbeit. Eigentlich. Es ist 8. Die Hälfte der Klasse ist nicht da. Einfach nicht da. In jeder Gruppe fehlt jemand. Und natürlich hat gerade der, der nicht anwesend ist alle Materialien, die die Gruppe für das Referat braucht. Ein Traum für jeden Lehrer. Obwohl sie gestern alle putzmunter durch die Klasse gehüpft sind. Die erste Stunde wird überbewertet. Warum muss man da Unterricht machen. Und die wichtigste Frage: mit wem. Isabel spaiziert rein. Die Ubahn war zu spät. Dann kommt Max. Sein Wecker hat nicht geklingelt. Es ist 8:02 Uhr. Ich stehe da und weiß nicht so recht, was ich machen soll. Das hatte ich ganz anders geplant. Na gut, ich warte bis zehn nach. Es kommt keiner mehr. Walmir liegt auf dem Tisch. Genauer gesagt, auf seinem Rucksack. 
"Waaaalmir! Aufwachen!"
"Boah, wir machen doch eh noch keinen Unterricht. Lassen Sie mich ma."
"Du bist in der Schule. Tue doch wenigstens so, als ob dich das hier interessieren würde."
"Mach ich doch!"
"Nein, nicht in dem du schläfst."
"Ich bin schlecht gelaunt."
"Warum? Was ist passiert?"
"Sie haben mir heute nicht 'Guten Morgen' gesagt. Als Sie auf Pakplatz gefahren sind. Ich stand da. Und Sie. Sie haben nicht 'Guten Morgen' gesagt. Ich muss immer 'Hallo' sagen. Und Lächeln. Das zwingen Sie mich auch noch."
"Wenn es so war, dann habe ich dich einfach nicht gesehen. Also. Guten Morgen, Walmir. Wo ist dein Geschichtsordner?"

"Kein Plan. Ich hab Kopfweh. Können wir nicht gehen? Is eh keiner da."
Ich stehe da. So ziemlich fassungslos. Die Hälfte nicht da. Und die Hälfte, die da ist, macht die Sache auch nicht besser.
"Sie können anfangen! Machen Sie ma schnell, sonst penn ich wieder ein."
"Junge! Sag ma nicht 'schnell' zu ihr. Sie ist nicht dein Knecht!" ruft Nafisa empört.
"Schreibt man 'schnell' eigentlich mit zwei 'L'?"
"Schlag den Duden auf und guck nach! In der Prüfung musst du auch mit dem Duden arbeiten, das ist doch jetzt eine gute Übung!"
"Cüüüüs, was Übung? Alleee, wie schön das Leben in der Grundschule war! In der 4. Klasse konnte ich alles nachfragen. Da hat keiner gesagt 'guck nach'!"
"Tja, das Leben ist hart, Walmir."
Walmir guckt kurz hoch. "Sie stehen in der Sonne. Gehen Sie ma zur Seite. Bitte."
"Sonne? Wir haben 8 Uhr morgens. Und wir haben Februar."
"Dann Licht halt. Gehen Sie mal ausm Licht. Bitte."
"So, Leute. Es wird hier wohl nicht voller heute. Aber wir sind ja spontan und flexibel."
"Ihr könnte schon mal an dem Diagramm weiterarbeiten."
"Was das? Dia... was??"

Mittwoch, 19. Februar 2014

Eltern sind ein komisches Volk

"Eltern verzeihen ihren Kindern die Fehler am schwersten, die sie ihnen selbst anerzogen haben."
Marie von Ebner-Eschenbach

Eltern sind ein komisches Volk. Eltern sind ein Volk, über die ich mich mehr ärgere. Mehr als über den schlimmsten Schüler dieser Welt. Eltern sind die, die ich eigentlich miterziehen muss. Nicht nur ihre Kinder. Kann man Eltern erziehen? Habe ich ein Recht, sie zu erziehen? Muss ich sie erziehen, kann das nicht jemand anders tun? Ist ja nicht so, dass ich nicht ausreichend Hobbies hätte, denen ich in meiner Freizeit nachgehen könnte. Kann man nicht noch eine Schulpsychologin einstellen und einen Sozialarbeiter zusätzlich? Pro Klasse. Für die Eltern der Schüler.

Jedes Verhalten hat einen Grund. Jedes Kind ist das Produkt gewisser Umstände. Und seiner Eltern. Cans Vater verspätet sich jedes Mal. Egal ob zum Elternabend oder zu einem Gespräch. Nafisa Mutter bittet mich, ihre Tochter für einen Tag zu entschuldigen. Sie muss zum Amt, übersetzen helfen. Dafür kann man einen Tag Schule ausfallen lassen. Auch bei Schnupfen und bei der monatlichen Regel. Auch da muss man die Schule nicht besuchen. Das wird alles entschuldigt. Melinas Mutter begrüßt mich mit den Worten: "Hallo Frau Feynberg, wie geht's dir?" Isabels Mutter schreibt Entschuldigungszettel auf abgerissenen Zetteln. Am besten noch mit Flecken drauf. Es sind eher Stichpunkte, die man da lesen kann. Max' Eltern sind kaum zu erreichen. Wenn ich mich über nicht gemachte Hausaufgaben, fehlende Materialien sowie unentschuldigte Tage beschwere, fragen sie mich, warum ich denn so schlecht gelaunt sei und ob ich nicht freundlicher mit ihnen sprechen könnte. Es ist doch ihr Sohn, der was ausgefressen hat. Sie sind es nicht. Oder Önders Mutter, die mir nach 20 Uhr eine SMS schreibt und fragt, welche Hausaufgaben Önder zu morgen erledigen soll. Oder, oder, oder. Ich rege mich über die Schüler auf. Doch dann treffe ich ihre Eltern. Und sehe die Welt plötzlich mit ganz anderen Augen. Und dann versuche ich zu verstehen. Warum etwas so ist, wie es ist. Und ich frage mich. Ob das überhaupt möglich ist. Gegen diese Erziehung zu Hause, gegen diese Werte, die keine sind, gegen die zahlreichen Erlebnisse, die die Schüler schon geprägt hatten, bevor wir uns kannten, anzugehen. Ich rede und rede und rede. Und dann kommen die Eltern und machen genau das Gegenteil. Peng. Das, was ich da geredet habe, ist auf einmal nichts mehr wert. Nicht das Geringste. Die Schule muss bilden und erziehen. Die Eltern erziehen und bilden. Eigentlich erziehe ich. Und bilde nebenbei. Doch wie viel Erziehung bleibt tatsächlich hängen? Wie viel Kampf lohnt sich? Wie viel Preis zahlt man für welches Ergebnis?

Dienstag, 18. Februar 2014

Kann man doch löschen

"Das Internet ist für uns alle Neuland."
Angela Merkel

Ich halte den Lebenslauf von Önder in der Hand. Bei den Hobbys steht 'Facebook chillen'. Die Email-Adresse lautet: derbabo44@hotmail.de. Und das nachdem ich den Kiddies bereits seit 3,5 Jahren erzähle, dass eine Email-Adresse aus Vornamen und Nachnamen, nur Nachnamen oder einer Mischung aus beidem bestehen soll. Gerade für Bewerbungszwecke.

"Önder, finde den Fehler auf dem Blatt!"
"Hä? Is doch perfekt!"
"Perfekt ist, wenn ich zehn Stunden am Stück schlafen kann. Das hier ist nicht perfekt. Also?"
"Wort falsch? Aber sagen Sie jetzt nich, ich soll Duden holen. Wie ich dem hasse, diese Häßlichkeit! Welches Opfer macht so ein dickes Buch??"
"Nein, kein Wort. Und auch der Duden kann nichts dafür. Guck genau hin!"
"Aaalllee, ich hab kein Bock zu gucken! Sie können mir schon mal 6 geben. Ich heul auch nicht. Schwör."
"Wir kennen uns doch nicht seit gestern, Önder. Es gehört nicht zu meinen Hobbys, euch schlechte Noten zu geben. Facebook chillen übrigens auch nicht."
"Ah soooo! Das meinen Sie! Is schlecht oda was?"
"Auch das, ja. Was ist denn das für ein Hobby, Facebook chillen?"
"Jaaa, Facebook halt. Fotos, Party und so."
"Was auch immer du da für Fotos hast.. ihr solltet alle überlegen, was ihr da postet! Die Arbeitgeber gucken nämlich auch da nach, während sie überlegen, wen man einstellen soll und wen nicht."
Hier mischt sich Can ein. "Ja stimmt, was du gestern über mich geschrieben hast. Frau Feynberg, das war Mobbing!!"
"Can, du kleine Missgeburt! Halt die Fresse!"
"Önder! Du wolltest heute sicher nett sein..."
"Immer ich!" antwortet Önder empört. "Darf ich nicht meine Meinung sagen? Alle dürfen, nur ich nicht. Er ist doch eine Missgeburt. Meine Meinung."
"Und Mobbing, Önder, kann zu einer Anzeige führen!"
Mandy hat eine Idee. "Aber ist doch egal. Kann man doch löschen."
"Mensch Leute, man kann bei Facebook nichts löschen. Nicht endgültig. Wenn es einmal da ist, ist es da. Haalloo? Das läuft doch gerade hoch und runter in den Nachrichten. Hat jemand eine Idee, worüber ich spreche?"
25 leere Augenpaare schauen mich an.
"Hmmm, Nachrichten." Mandy denkt total angestrengd nach. "Nachrichten... Meinen Sie, Olympische Spiele?"
"Leute, habt ihr schon was von der NSA gehört?"
Und schon wieder. 25 leere Augenpaare.
Mandy versucht sich zu retten. "Ich wollt nur testen. Ich weiß doch, dass im Internet nix verschwindet. Wie Sie sich aufregen. Wieso sind Sie so schlecht gelaunt? Haben Sie Hass auf mich?"
"Ok, wir machen es ab jetzt so. Jeden Freitag wird hier ein Zeitungsartikel vorgestellt. Jeder ist einmal dran. Ihr müsst wissen, was um euch herum passiert."
"Nur Deutschland oder auch Ausland? Weil ich hab gehört, aus Bayern kommen jetzt Lehrer nach Berlin. Kann ich darüber machen?"
Ich gucke Melina total verdattert an.
"Hä? Is nich Ausland?"

Mittwoch, 12. Februar 2014

Jeder mit seiner Geschichte

"I ran away today, ran from the noise, ran away
Don't wanna go back to that place, but don't have no choice, no way
It ain't easy growin up in World War III
Never knowin what love could be, well I've seen
I don't want love to destroy me like it did my family"


Pink (family portrait) 


Es ist ganz still in der Klasse. Die Schüler arbeiten. Und ich schaue mich um. 

Da ist Can. Jemand, der meistens lächelt und der erste ist, der sich meldet, wenn Hilfe gebraucht wird. Mandy, die ihr letztes Praktikum im Altersheim gemacht hat. Meine Begeisterung für ihre Geduld beim Umgang mit Senioren klingt bis heute nicht ab. Önder, der wahrscheinlich eine weiterführende Schule besuchen wird, um Abitur zu machen. Önder, dem das keiner zugetraut hatte. Isabel, die zeichnen kann, als wäre sie die Schülerin von Albrecht Dürer höchstpersönlich. Und die ihre Hosen selbst kürzen kann. Da ist Umut, der lebendige Umut, der jedes kleinste Detail eines PCs benennen und die Funktionsweise erklären kann. Und blind tippen kann er auch. Mit zehn Fingern. Timm, den ich immer um Rat frage, bevor ich eine KFZ-Werkstatt aufsuche, weil er sich bei Autos wie zu Hause fühlt. Nafisa, die so herzlich lachen kann und die ein herzensguter Mensch ist. Da ist der zielstrebige Abdul, der versprochen hat, im neuen Jahr ein neuer Abdul zu werden. Ich erkenne jeden Tag seine Mühe. Melina, die Kroatisch sprechen, lesen und schreiben kann. Schon mal zwei Sprachen perfekt. Mirko, der so gut und so schnell Kopfrechnen kann, wie ich Schuhe shoppen. Und alle anderen. Jeder mit seinen Stärken.

Da sitzen sie alle. Jeder mit seiner Familiengeschichte. Mit so einer Geschichte, die sich der beste Drehbuchautor der Welt nicht ausdenken könnte. Der beste Drehbuchautor für Horrorfilme. Jeder mit seinen Sorgen und Problemen. Und sie alle mit einem gesellschaftlichen Stempel mit Zurechtweisungen und Hinweisen auf alles das, was sie nicht können. Und nur Verbote. Das darfst du nicht. Und jenes darfst du auch nicht. Und dann diese Bemerkungen, von wegen deine Klasse und deine Schüler. Die schon wieder. Falsche Bewegung, falscher Spruch, keine Hausaufgaben. War ja klar. Die können doch sonst nix, als alles falsch zu machen. Natürlich nicht. Wenn man ihnen erst gar nicht die Chance dazu gibt, etwas richtig zu machen. Sich zu präsentieren. Das zu zeigen, was sie gut können. Und sie können eine Menge. Wie sollen die denn auch anders können? Wenn man sie nicht lehrt, anders zu agieren. Und warum sind wir noch mal Lehrer geworden? Bestimmt nicht wegen der Ferien.
Wir müssen umdenken. Die Jugendlichen haben sich geändert. Die Elternarbeit hat sich geändert. Die Zeiten haben sich geändert. Müssen alle dasselbe lernen? Werden die unterschiedlichen Kurse, Anträge, Verordnungen und Paragraphen die Bedürfnisse der Gesellschaft und der Jugendlichen erfüllen? Wir brauchen einen Raum, in dem die Jugendlichen sich entfalten können, in dem sie kreativ sein können. Einen Raum für Wünsche, Träume und Optimismus.

Mirko meldet sich. Schnell bin ich mit meinen Gedanken wieder in der Realität. 
"Muss ich Beruf von mein Vater bei Lebenslauf schreiben? Ich hass den. Der ist voll lange her abgehauen. Ich kenn den gar nicht."

Dienstag, 11. Februar 2014

Haben Frauen überhaupt Rechte?

"Wir wollen lieber fliegen als kriechen."
Louise Otto-Peters (Frauenrechtlerin) 

"Frau Feynberg, wollen Sie Kinder?"
"Ja. Und du, Önder?"
"Ich will auch. Aber irgendwie hab ich mies Angst, dass die so werden wie wir. So nervig. Wallah, ich schwör, ich würd den so eine Schelle geben. Soll der ma einmal nicht seine Hausaufgaben machen."
"Wieso er? Vielleicht bekommst du ja nur Mädchen?"
"Was, nur Mädchen? Normal, bekomme ich Jungs. Als erstes auf jeden Jungen. Aber ich schwör, ich hoffe, ihre Kinder werden so brav. Stell dir vor Abdul, so Kinder wie unsere Klasse, ich würd mich erhängen!"
"Frau Feynberg, nennen Sie ma Ihren Sohn Abdul! Übetrieben schöner Name." sagt Abdul zufrieden. Auf einmal weiten sich seine Augen ins Unermessliche.
"Warten Sie Frau Feynberg. Sie haben doch letztens geheiratet! Vielleicht sind Sie schon schwanger? Nein, Frau Feynberg, nein. Sie können noch nicht schwanger werden. Ich muss noch mein Abschluss machen. Bitte, noch nicht. Sie müssen mich noch unterrichten. Ich kann ohne Sie nicht."
"Abdul! Welch nette Worte aus deinem Mund! Das ist ja ein echtes Kompliment für mich!"
Abdul wird rot.
"Jaaa, übertreiben Sie jetzt ma nicht. Als ob ich in Sie verliebt wär!"
Zum Glück schaltet sich Önder ein. Abdul wird das alles langsam zu peinlich.
"Aller, Abdul... Wenn Sie Ihren Sohn Abdul nennen, Frau Feynberg, dann können Sie ihm gleich Kanakenschwein nennen. Ja gut, ich geb zu, ich bin vielleicht auch Kanake. Aber Abdul geht gaaar nicht."
"Und ich soll auch nur Jungen bekommen oder was? Ein kleines Geheimnis: auch Mädchen erblicken manchmal das Licht der Welt. Aber sag's nicht weiter."
"Ich weiß doch. Denken Sie, ich wär dumm?"
"Keineswegs."
"Aber was Mädchen? Mädchen. Haben Frauen überhaupt Rechte?"
Ich setze meinen bösesten Blick auf. Und auch die Mädchen in der Klasse schauen zum ersten Mal in dieser Stunde hoch.
"Aaaaler Spaaaaß. Nur Spaaß, Frau Feynberg! Ich liebe Frauen!"
"Cus, Önder, was du wieder für ein Scheiß labberst!" Mirko gähnt und reckt sich. "Ich hab viel wichtigere Frage, Frau Feynberg. Wie viel Stunden haben wir heute?"
"Du hast einen Stundenplan, guck drauf!" Mirko guckt sich genau den Stundenplan an. So als würde er ihn zum ersten Mal sehen.
"Oookkk... und wie vielte Stunde ist jetzt?"
Ich schweige. Das wird mir zu doof.
"Wann ist Pause?"
"Mirko, Pause ist wenn Pause ist. Und Schluss hast du, wenn du Schluss hast. Noch Fragen?"
"Ja. Wie vielte Stunde ist das?"

Montag, 10. Februar 2014

Déjà-vu

Paul: "Sie haben sicherlich Fragen?"
Doug: "Um Fragen zu haben, müsste ich erstmal was wissen."
Aus dem Film 'Déjà-vu'

Wir hatten Ferien. Nur eine Woche. Aber Ferien sind Ferien. Frei. Schulfrei zumindest. Am Montag schrieb Timm eine Nachricht. Er wolle sich gerne verbessern. Was er in den Ferien zusätzlich machen könne, hat er gefragt. Welch' Freude, dachte ich. Und welch Überraschung. An seinem Lebenslauf und der Bewerbung sollte er arbeiten, schrieb ich. Und schickte ihm mindestens fünf Smileys hinterher. Nafisa schrieb eine E-Mail. Sie muss am kommenden Donnerstag ein Referat über Georg Elser, einen Widerstandskämpfer, halten. Nafisa fand bei ihrer Recherche im Internet nur George Clooney und George Bush. Sie fragte, ob sie nicht einen "anderen Menschen" aussuchen könnte.

Dann begannen tatsächlich die Ferien. Und ich fuhr nach Bayern.
Bayern, das PISA-Wonderland. Das Bundesland, das sich äußerst genau seine Lehrer aussucht und dessen Schüler die gesamte Republik beeindrucken. Zumindest, wenn man der Statistik glaubt. Nett, ist es da, in Bayern- schöne Ecken und nette Menschen. 
Ich bilde mich ja gerne weiter. Auch in den Ferien. Also ging ich ins Museum. Ein echt interessantes. Ich war nicht alleine. Mit mir besuchte eine Klasse die Ausstellung. Könnte auch meine sein. Obwohl in Bayern. Jogging-Hose, Kaugummis, Caps, Kopfhörer. Auch ich habe gehört, welche Musik das Mädchen da hört. Rap natürlich. Kaum einer betrachtet die Ausstellungsexponate. Der Lehrer spricht allerdings einen Jungen an.
"Hasan!"
Hasan reagiert nicht.
"H-A-S-A-N!"
"Hä?"
"Kopfhörer aus den Ohren!"
"Aber ich hör doch gar keine Musik. Ist nur so."
"Du bist im Museum, raus mit den Dingern!"
"Weiß ich's doch!"
"Hasan, wie heißt das Museum hier?"
Der Name des Museums steht ganz groß am Eingang. Im Unterricht ist er sicherlich auch schon einige Male gefallen. Das macht man so, wenn man einen Unterrichtsgang plant. Man bereitet ihn vor. Anscheinend war Hasan da nicht anwesend, denn er antwortet:
"Keine Ahnung, aller. Können wir nicht Döner gehen??"
Ich erlebe ein Déjà-vu. Oder auch mehrere. Ich muss lächeln. Welcome to Bayern, PISA-Wonderland.