Montag, 24. März 2014

Schöne Signalfarben bitte

"Es sieht ein Ei dem anderen gleich."
Sprichwort

Zwillinge in eine Klasse zu stecken, ist so so so gemein. Besonders wenn es absolut eineiige Zwillinge sind. Aber sowas von eineiig, eineiiger geht's gar nicht. Für den Lehrer ist es gemein. Das sind ja trotz äußerlicher Gleichheit zwei komplett verschiedene Menschen, die man auch unterschiedlich bewerten sollte. Es sei denn, ihre Leistungen sind gleich. Aber das sind sie selten. 

Milan und Damian unterscheiden sich auch in ihren Leistungen. Ansonsten unterscheiden sie sich nicht großartig. Sie sehen gleich, gleicher, am gleichesten aus. Alles ist gleich. Frisuren, Klamotten, Gang, Statur und sogar ihre Federmäppchen. Können die Eltern ihnen nicht wenigstens verschiedene Stifte kaufen? Den einen Füller in neongelb und den anderen in pink. Schöne Signalfarben bitte, damit ich die auch aus entfernter Ferne erkennen kann. Es ist gemein! Besonders wenn man die Klasse nur eine Stunde die Woche unterrichtet und die beiden viel zu selten zu Gesicht bekommt, um sich auch nur einen einzigen winzigen Unterschied zu merken, den man zur Erkennung benutzen könnte.
"Guuuten Morgen, Frau Feynberg!"
"Guten Morgen .. ähm .."
"Na, wie heiß ich?"Auch bei absoluter Ahnungslosigkeit muss man total sicher wirken. Also antworte ich absolut selbstsicher: "Damian, natürlich."
"Maaaan, Frau Feynberg, Sie kennen mich schon sooo lange. Ich bin Milan." Mist.
"Guten Morgen, Milan."
"Nein man, Spaaß. Damian war richtig."
"Siehst du, sage ich es doch! Natürlich kann ich euch unterscheiden." Wenn ich denn richtig geraten habe, füge ich in Gedanken hinzu.
"Aaaallee Frau Feynberg, wieso können Sie das nicht? Die sind so krass verschieden, das ist voll unter der Würde, Fau Feynberg!"ermahnt mich Önder.
"Ey Önder, du Spasst, hörst du mit dem Arsch zu? Frau Feynberg kann die doch unterscheiden!" ergrefit Nafisa die Partei für mich.

Ich konnte die beiden auch mal unterscheiden. Milan hatte nämlich eine Zahnspange. Und Damian nicht. Bis zu diesem einen Tag, als ich in die Klasse reinkam und zuerst zu Milan und dann zu Damian blickte. Und dann von Damian zu Milan. Und wieder von Milan zu Damian. Und so ungefähr zwanzigmal. Irgendwas war anders. Die Zwillinge standen grinsend vor mir. Damian schrie: "Üüüberraschuuung, Frau Feynberg. Ich hab jetzt auch eine Zahnspange. Jetzt haben Sie ein Problem, wa?"

Meine Erinnerung wird ausgebremst, als ich sehe, dass Damian und Milan sich anschreien und kurz davor sind, handgreiflich zu werden. Zwillinge sein bedeutet nicht automatisch, sich 24 Stunden am Tag zu lieben.
"Ey Junge, lass ma mein Buch in Ruhe. Du hast selba eins. Ich zieh dir eine!"
Neben mir höre ich die leise Stimme von Isabel: "Hä? Wie sieht es denn aus, 'ich zieh dir Eine?' Verstehe ich nicht." Ich verstehe den Sinn dieser Aussage nicht, aber ich habe auch keine Zeit dazu. Ich eile zu den beiden und verweise sie auf ihre Plätze.
Noch im Laufen dreht sich Damian zu Milan um und sagt: "Du bist so hässlich, Junge!"

Mittwoch, 19. März 2014

Kinder können sich doch gar nicht wehren

Wer den Flüssen wehren will, muß die Quellen verstopfen.
Sprichwort

David ist ein ganz ruhiger Schüler. Zu ruhig. Ziemlich schüchtern. Wenn man ihn anspricht, zuckt er zusammen. Man weiß nicht viel von ihm. Er lächelt kaum. Trotzdem: alles ist immer okay. David geht's immer gut, wenn man ihn fragt. Seinen Leistungen weniger. 
Wir sprechen über ein Thema, über das wir sehr oft sprechen. Gewalt. Wieder mal. Man kann gar nicht genug über dieses Thema sprechen. Und einmal die Woche die Jugendarrestanstalt oder das Jugendgefängnis besuchen, um Präventionsarbeit zu leisten. Überall Gewalt. Körperliche, seelische, in der Familie, auf der Straße, in den Medien. David schweigt die ganze Stunde. Alle anderen haben eine Menge zu dem Thema zu sagen. In erster Linie geht es um die Computerspiele. Aber auch sonst haben die Jugendlichen viele Gewaltgeschichten auf Lager. Viel zu viele. Mein Kopf wird schon nach wenigen Minuten quadratisch. Mein Erstaunen, was diese Jugendlichen - in ihren jungen Jahren - alles erlebt haben, wächst. Und wächst. Obwohl ich dachte, schon vieles gewusst und vieles erlebt zu haben. Man weiß nicht, was David von dieser Stunde mitbekommt. Er starrt mal aus dem Fenster. Mal auf seinen Tisch. Mal einfach vor sich hin. Doch dann wacht er auf. Es geht um einen Vater, der sein Kind ohrfeigt. Gewalt oder nicht Gewalt? Die Meinungen sind gespalten. Die Mehrheit der Klasse sagt, ist doch alles nicht so schlimm. Mal eine Ohrfeige. Muss sein, wenn man seine Kinder vernünftig erziehen möchte. Einige wenige -wirklich wenige- meinen, egal was kommt, seine Kinder darf man nicht schlagen. Und dann sagt David etwas. "Kinder können sich doch gar nicht wehren. Ohrfeigen sind auch Schläge und ich hasse Schläge. Schläge sind immer Gewalt. Und ich hasse Alkohol." Es sind vier kurze Sätze, die David da von sich gibt. Diese Sätze sind aber so lang und so dunkel. Diese Sätze verraten so viel. Sie schreien nach Sonne, nach Licht. Plötzlich kann ich hinter die Fassade des schüchternen Jungen blicken. Plötzlich denke ich, so viel zu wissen. Und ich frage mich, wie viele Geschichten es noch gibt, die wir nicht mal annähernd kennen. Und wie viele Gewaltkarrieren man eigentlich verhindern könnte.

Montag, 17. März 2014

Und 14 Nächte

"Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen."
 Lucius Annaeus Seneca

In zwei Wochen ist die Präsentationsprüfung. Schüler bereiten sich ein halbes Jahr auf die Prüfung vor, kommen am Prüfungstag in die Schule, halten ihre Präsentation, wir stellen Fragen. Fertig. Eigentlich bereiten sich die Jugendlichen sogar länger, als ein halbes Jahr, auf die Prüfung vor. Die Termine werden nämlich bereits zu Anfang des 10. Schuljahres veröffentlicht. Im Normalfall. Bei meinen Schülern sieht der Normalfall anderes aus. Man bereitet sich für die Pürfung eine Nacht vorher vor. Im besten Fall, eine Woche vorher.

"Das ist ja der letzte Beratungstermin vor der Prüfung. Dann zeigt mal, was ihr bisher gemacht habt."
"Hä? Wie gemacht? Hatten wir Hausaufgaben?" Betül, Nafisa und Timm gucken mich an, als würde ich von ihnen die Erklärung der Relativitätstheorie verlangen.
"Beim letzten Beratungstermin gab es auch für euch Aufgaben, die ihr bis heute erfüllen solltet."
"Ah so... ich wusste nich, dass bis heute. Ich schwör, ich wusste nich.. Krieg ich jetzt 6?"
"Nein Nafisa, jetzt nicht. Aber höchstwahrscheinlich in der Prüfung. Habt ihr denn schon irgendetwas für die Prüfung vorbereitet?"
"Natürlich haben wir." antwortet Timm total selbstsicher. "Ich habe mich schon über dieses Land informiert, wo es Kindersoldaten gibt. Wie heißt das noch mal?"
"Super, hast du dich informiert, wenn du nicht mal weißt, wie das Land heißt. In eurer Prüfung soll es um Somalia gehen."
"Ah stimmt."
"Wie heißt denn die Hauptstadt von Somalia? Wenn ihr euch sooo ausführlich bisher mit dem Thema beschäftigt habt, dann müsst ihr das im Schlaf können."
"Hmmm..." Nafisa scheint nachzudenken. "Afrika?"
"Neeein, Afrika ist der Kontinent auf dem Somalia sich befindet. Ich frage nach der Hauptstadt!?"
"Ah ich weiß! Kongo oder so?"
"NEIN! Leute ist es euer Ernst?? Die Prüfung ist in zwei Wochen und ihr kennt noch nicht mal die Hauptstadt des Landes, über das ihr referieren wollt??"
"Jaaa. Hauptstadt... Wer braucht Hauptstadt? Hauptsache ist doch, wir wissen, wie die Kinder Soldaten werden oder nicht?"
"Natürlich ist es wichtig... Aber ihr habt euch doch nicht umsonst für ein bestimmtes Land entschieden. Es geht darum, aus welchen Gründen die Kinder gerade in diesem Land in den Krieg ziehen müssen! Und in so einem Fall gehört das Kennen der Hauptstadt auf jeden Fall dazu."
"Machen Sie sich ma keine Sorgen. Ich hab schon mal Referat gemacht über Frauen in Indien. Ich nehme dem einfach für die Präsentationsprüfung!"
"Nafisa, Kindersoldaten in Somalia sind auch dein Thema! Da geht es nicht mal annähernd um Frauen in Indien! Du kennst das Thema bereits seit fast einem halben Jahr!"
Timm unterstützt mich. "Mädchen, geh sterben! Was für Frauen in Indien?"
"Timm! Danke für die Unterstützung, aber so sollte sie nicht aussehen!"
 
"Cüs, schreien Sie ma nich so..." Tatsächlich... ich habe geschrien.. Dann bin ich wohl wirklich sauer.
"Betül! Es sind nur noch 14 Tage bis zur Prüfung!"
"Und 14 Nächte. Voolll vieeel Zeit. Wie die Lehrer immer übertreiben. Soll ich mich jetzt niederknien, damit Sie sich beruhigen oda was?"
"Ist nett von dir, aber nein, du musst dich nicht niederknien. Nehmt euren Block und Stifte raus. Ihr werdet jetzt einiges mitschreiben müssen."
"Block und Stifte? Aber Sie haben gar nicht... " Timm traut sich nicht, den Satz zu vollenden. 
"Timm!"
"Ey, Frau Feynberg, beruhigen Sie sich mal. Sie brauchen bisschen Wodka!"
"Ich trinke keinen Alkohol. Was ich brauche, sind fleißige Schüler."
"Hä? Wie? Kein Wodka?"
"Nein. Nichts."
"Aber Sie kommen doch aus Russland?!"

Freitag, 14. März 2014

So krass bombe

"Um Erfolg zu haben, muß man aussehen, als habe man Erfolg."
Valentin Polcuch

"Schiebt bitte die Tische zusammen, damit wir uns alle hinsetzen können." Ich mag es nicht, vorne zu stehen. Als Oberlehrerin. Im Kreis unterhält und lernt es sich viel besser. Ich muss nicht stehen, um den Kiddies etwas beizubringen. Geht auch im Sitzen. Sitzen. Endlich. Warum habe ich mich heute morgen auch für die hohen Absätze entschieden? Schön doof. Schule darf man eigentlich nur in Turnschuhen betreten. Besonders wenn man sieben Stunden am Stück hat. 

"Uuuuuh Frau Feynberg. Absätze? Was ist mit den Ihre Nikes los? Verkaft bei Ebay?"
"Cüüüs, Junge. Weißt du, wie viele Nikes die hat? Als hätt Frau Feynberg die alle bei Ebay verkauft. Kein Plan hast du, Knecht du Elender." Önder muss einfach immer das letzte Wort haben und fährt fort. "Haben Sie vielleicht Date? Ah nein. Sie sind ja jetzt verheiratet. Leben vorbei, wa?"
"Eigentlich nicht. Alles gut bei mir. Aber danke Önder, dass du dir um mich Sorgen machst. Wirklich sehr lieb. Könnt ihr jetzt bitte die Tische zusammenschieben? Jetzt wirklich!"
"Ist Ihr Mann auch Russe? Wie heißt er? Oleg, Igor, Evegnij?"
Gülcan kommt auf mich zu. "Falsche Richtung Gülcan. Die Tische stehen jetzt hinter dir. Da kann etwas nicht stimmen."
"Ich wollt Sie nur sagen Frau Feynberg, Sie haben tooooodesabgenommen! Was geht Frau Feynberg, Liebe und so? Ich hab bei Galileo gesehen, wegen Liebe nimmt man tooodes ab. Beste Diät."
Gülcans Blick wandert an mir hoch und runter. Ich fühle mich etwas beobachtet. So ziemlich beobachtet.
Mandy weiß es besser. "Was Liebe? Ich sag dir, nur Sport. Einzigste, was hilft. Ey Frau Feynberg, Sie können bald bei diese Models-Sendung mitmachen. Dann brauchen Sie nicht mit uns ihr Geld verdienen. Wir sind schon oberanstrengend, oda?"
"Mandy, es gibt keine Steigerung von 'einzig'."
"Was?"
"Einzige. Es heißt einzige. Du bist gerade die einzige, die ihren Tisch nicht schiebt."
"Aaalleee, wie Sie übertreiben! Ich wette, Sie gehen zu Fuß immer zu Ihre Familie. Welche Stadt wohnen Sie noch mal?"
"Weit weg. Die Tisch..."

"Sag ich doch. Also. Laufen Sie nach weitweg? Kein Zug? Oder machen Sie diese Fahrrad bei Fitness?"
"Reicht jetzt Mädels! Können wir Unterricht machen?"

"Frau Feynberg, ich wollt Sie nicht beleidigen." Gülcan hebt beide Hände hoch. Als wäre sie komplett unschuldig.  
 "Aber Sie haben kraaaas abgenommen. Also, vorher, da sahen Sie auch Bombe aus. Aber jetzt. So krass Bombe. Frau Feynberg, sind Sie beleidigt?"

Montag, 10. März 2014

Hast du auch andere Themen?

"Ein Psychotherapeut ist ein Mann, der dem Vogel, den andere haben, das Sprechen beibringt."
Wolfgang Gruner

Hast du auch andere Themen? Wenn du dabei bist, sprechen wir nur über Schule! Andauernd regten sich meine Freundinnen auf. Ja, das Thema 'Schule'. Überall und immer. Das konnten irgendwann weder meine Familie noch meine Freunde hören. Egal wie lustig es war. Dabei hatte ich so viel zu erzählen. Schwänzer, Schlägereien, Beleidigungen, Respektlosigkeit, sich nicht kümmernde Eltern, Diskussionen, keine Angst vor irgendwelchen Sanktionen. Und ich mittendrin. Eine junge Lehrerin mit zwei Jahren Referendariatserfahrung. Hilfe, dachte ich. Und dann waren da noch die schönen Momente eines Lehrerberufs. Momente, die überwogen. Erfolgserlebnisse der Schüler, kleine Aufmerksamkeiten und Lob für mich, Geschichten der Jugendlichen, kooperierende Eltern, Dankbarkeit in den Augen der Schüler, Lachen und immer wieder das Gefühl,  den richtigen Job gewählt zu haben. Trotz allem.

Bis zu diesem Samstag Abend. Als wir unterwegs waren, um Spaß zu haben. Und ich wieder über Schule sprach. Weil mich die Erlebnisse so sehr beschäftigten. So geht's nicht weiter, Lea, sagten meine Mädels. Irgendwann gibt es auch einen Feierabend.  Auch bei dir. Es ist Samstag. Da arbeitet man nicht. Da denkt man auch nicht an Arbeit. Da genießt man das Leben. Schreib doch alles auf, sagten sie. Schreib ein Tagebuch, schreib Zeitungsberichte, schreib ein Buch. Schreib irgendwas, aber schreib. Und leb dein Leben.



Also habe ich angefangen zu schreiben. Buchstabe für Buchstabe. Wort für Wort. Geschichte für Geschichte. Und war so dankbar für diesen Samstag, für diesen Ratschlag. Schreiben. Das ist es.  Schreiben, um sich mitzuteilen. Schreiben, um die Menschen da draußen zu informieren. Menschen, die sich über die Müdigkeit der Lehrer lustig machen. Von einem Halbtagsjob könne man ja nicht müde werden. Auch die Menschen, die Reformen in die Wege leiten, um Geld zu sparen. Menschen, die zum letzten Mal in der Schule waren, als sie ihren eigenen Abschluss machten. Menschen, die Schicksäle in der Hand haben.

Informieren über diese Jugendlichen. Die viel zu schnell abgestempelt werden, viel zu selten eine Chance bekommen, und in viel zu schrecklichen Umständen aufwachsen. Auch ich war so ein Ausländerkind. Auch ich hätte so eine Jugendliche werden können. Und später genau so eine Erwachsene. Die als asozial beschimpft werden, Hartz IV kassieren und keinen Sinn in der Bildung sehen würde. Bei mir lief es aber anders. Bei mir lief es. Ich hatte Chancen. Viele Chancen. Ich hatte Liebe. Viel Liebe.

Ich habe also angefangen zu schreiben. Um Fragen zu stellen und Antworten zu vermuten. Um aufzuwecken. Um meinen Spaß mit anderen zu teilen.

Mittwoch, 5. März 2014

Mich abreagieren.

"Es ist immer schwer, etwas zu kritisieren, was man nicht kennt."
Thomas Bubendorfer


Mich stört etwas. Es stört mich ziemlich. Ziemlich sehr. Bei der ganzen Lehrer-Versager-Diskussion fehlt ein entscheidender Punkt. Die Politik, die Verwaltung. Wir, die Lehrer, haben die Entscheidungen, die da oben getroffen werden, auszuführen. Wir müssen mit allen Reformen leben. Wir sind ja Lehrer, ausgebildete Menschen, wir schaffen das schon. Wir schaffen alles. Wir müssen alles schaffen. Friss oder stirb. Hat sich irgendjemand die genauen Umstände angeschaut, unter denen wir arbeiten? Inklusion ohne Sonderpädagogen, nur mit uns, die kein Sonderpädagogik-Studium von mindestens acht Semestern hinter sich haben.  Reformen, die ohne Rücksicht auf Verluste durchgeführt werden. Nur mit Rücksicht auf Finanzen- möglichst viel sparen. Schwierigste Schüler mit grausamsten Familiengeschichten ohne Sozialpädagogen. Supervision für Lehrer weit und breit nicht zu sehen. Differenzierung ohne Geld für Kopien oder gescheite Bücher. Schulpsychologen, die alleine für sieben Schulen gleichzeitig verantwortlich sind. Also bitte, nicht immer auf die Lehrer! Es gibt genug andere Versager, die (mit) für das Desaster an deutschen Schulen verantwortlich sind! Bei uns, an einer Hauptschule, gibt es wahrscheinlich die fähigsten Lehrer überhaupt. Weil sie das alles aushalten und dabei noch ihren Optimismus behalten. Keiner will Lehrer werden und mit den schwierigsten der Schwierigsten arbeiten. Aber jeder fühlt sich berufen und qualifiziert dafür, Lehrer zu kritisieren.
Ich glaube, ich gehe jetzt eine Runde laufen. Mich abreagieren. Und danach korrigieren, Unterricht vorbereiten, Eltern anrufen. Ein Hoch auf unseren Halbtagsjob! Cheers.

Montag, 3. März 2014

Dinge, die so oft so wenig zählen.

"Einen Zyniker erkennt man daran, daß er von jedem Ding den Preis, aber von keinem den Wert kennt."
Oscar Wilde


Ich bin dieses Wochenende weit gefahren. Mit dem Zug. Eine Freundin von mir sagt, wenn du zu viele Komplexe hast und an dir zweifelst, fahr Bahn und guck dich um. Dann hast du plötzlich keine mehr.
Ich sitze also in diesem Zug. Die Fahrkarte war teuer. Ziemlich teuer. Mist, denke ich, Trinken! Ich habe vergessen, etwas zum Trinken mitzunehmen. Also spaziere ich zum Bistrowagen und gucke mir die Getränkekarte an. Wieder ziemlich teuer. Aber meinen Durst interessieren die Preise nicht. Also stelle ich mich an. Vor mir steht eine Frau, die nur Englisch spricht. Im Gegensatz zur Bahnmitarbeiterin. Die spricht nur Deutsch. Jedenfalls möchte die Frau auch etwas zum Trinken kaufen. Von den ca. 3 EUR für ein Getränk, möchte sie aber einen Euro in 10 cent Stücken zahlen. Da versteht die Bahnmitarbeiterin keinen Spaß. Sie wäre doch keine Tschänging-Maschine. Oder Benkautomet. Hmm, denke ich. Bin ich doof oder sieht die Mitarbeiterin da etwas anderes als ich? Ich sehe nämlich ein 2-Euro-Stück und zehn 10-Cent-Münzen. Geld halt. Geld ist Geld. Man könnte meinen, da würden 3 Euro in 5-Cent-Münzen liegen. Aber selbst wenn. Auch hier ist Geld Geld. NO, das smol Geld nehme sie nicht. Sie wäre ja keine Tschänging-Maschine. Ich gucke mich um. Und kann nirgendwo ein Schild entdecken, auf dem möglicherweise die Münzen stehen könnten, die man hier annimmt. Weit und breit kein Hinweis. You want trinken or no trinken? Trinken? Money big! Die Dame vor mir ist leicht verzweifelt. Sie scheint, echt Durst zu haben. Aber zu viele Münzen. Kein Erbarmen. Die Frau muss weg. Mit ihren Münzen. Ohne Trinken. 

Letzte Woche war ich bei einem Amt. Einem sehr wichtigen. Mit lauter wichtigen Stempeln und vielen Türschildern, die auf lauter wichtige Menschen verweisen. Ich war zum dritten Mal da. Weil man mir die beiden Male davor, eine falsche Information mitgeteilt hatte. Ans Telefon geht den ganzen Tag keiner, also muss ich persönlich hin. Zum dritten Mal. Ich brauche unbedingt so ein wichtiges Papier. Ein bestimmtes. Gibt es nur in diesem Amt. Ich drehe also alles so hin, dass ich später zur Schule kommen kann und stehe um 8:25 Uhr vor der Tür, die ich benötige. Ich muss unbedigt die Erste heute sein. Sonst haut es in der Schule mit dem Vertretungsplan nicht hin. Um 8:28 Uhr guckt ein Mitarbeiter  aus der Tür und guckt mich verwundert an. Die Sprechstunde würde erst um 8:30 Uhr beginnen, ich solle doch noch einmal Platz nehmen. Nein, erkläre ich dem Herren. Geht nicht. Bei meinem dritten Besuch muss ich nämlich das Papier bekommen. Jetzt wirklich. Ich muss die Erste sein. Der Herr zuckt mit den Schultern. Nach weiteren 30 Minuten und zahlreichen wichtigen Menschen in lauter wichtigen Zimmern, sitze ich vor dem allerwichtigsten Menschen. Der zuckt eine Akte. Frau Wirbelwind? Neeein, Frau Feynberg bin ich! Oh. Eine falsche Akte, die er da in der Hand hält. Er bräuchte noch einmal meinen Personalausweis. Personalausweis? Aber den habe ich doch vorne abgegeben. Ah so, ja. Nach 45 Minuten und einem kleinen Nervenzusammenbruch verlasse ich das Amt. Endlich halte ich das Papier in der Hand. Die Verwaltungsgebühr muss ich natürlich trotzdem zahlen. Trotz der 100.000 Fehler, die alle möglichen wichtigen Menschen in diesem wichtigen Amt da gemacht haben.

Am Dienstag war ich bei einer Lesung. Einer sehr interessanten. Von einer sehr süßen und begabten Autorin. Neben mir saß ein Mann, der während der Lesung Quizduell auf seinem Handy gespielt hat. Alle fünf Minuten guckte er hoch und lächelte. Durchaus interessiert. Hä, denke ich, Typ, kannst du nicht zu Hause Quizduell spielen? Das wäre billiger für dich. Den Eintritt für die Lesung müsstest du dann nämlich nicht zahlen.

Und die Moral von der Geschicht': Kein Wunder, dass meine Schüler mir kein Wort glauben. Frau Feynberg ist nur Lehrerin. Sie hat kein Plan vom Leben, jaaa. Ich guckte mich also letzte Woche um. Mehr als mir lieb ist. Und merkte: ich habe wirklich keinen Plan vom Leben. Ich verlange nämlich von meinen Schülern Höflichkeit, Zuverlässigkeit, Pünktlich, Respekt und all die anderen schrecklichen Dinge, die so oft so wenig zählen.
Es ist die Welt da draußen, die mir Sorgen bereitet. Da gibt es zu viele Menschen, die respektlos, unhöflich sind und die ihren Aufgaben nicht so nachgehen, wie sie das sollten. Der Schüler, dem ich das alles beigebracht habe, geht also raus, raus aus der behüteten Schule und merkt: Ups, es gibt genug andere, die unhöflich, respektlos und unfähig sind. Und die alle kommen irgendwie im Leben weiter. Diese Werte, die ich also mühevoll versucht habe, diesen Jugendlichen beizubringen, spielen also plötzlich keine Rolle mehr. Gar keine. Denn es geht ja auch ohne. Und einfacher ist es auch noch.