Montag, 3. März 2014

Dinge, die so oft so wenig zählen.

"Einen Zyniker erkennt man daran, daß er von jedem Ding den Preis, aber von keinem den Wert kennt."
Oscar Wilde


Ich bin dieses Wochenende weit gefahren. Mit dem Zug. Eine Freundin von mir sagt, wenn du zu viele Komplexe hast und an dir zweifelst, fahr Bahn und guck dich um. Dann hast du plötzlich keine mehr.
Ich sitze also in diesem Zug. Die Fahrkarte war teuer. Ziemlich teuer. Mist, denke ich, Trinken! Ich habe vergessen, etwas zum Trinken mitzunehmen. Also spaziere ich zum Bistrowagen und gucke mir die Getränkekarte an. Wieder ziemlich teuer. Aber meinen Durst interessieren die Preise nicht. Also stelle ich mich an. Vor mir steht eine Frau, die nur Englisch spricht. Im Gegensatz zur Bahnmitarbeiterin. Die spricht nur Deutsch. Jedenfalls möchte die Frau auch etwas zum Trinken kaufen. Von den ca. 3 EUR für ein Getränk, möchte sie aber einen Euro in 10 cent Stücken zahlen. Da versteht die Bahnmitarbeiterin keinen Spaß. Sie wäre doch keine Tschänging-Maschine. Oder Benkautomet. Hmm, denke ich. Bin ich doof oder sieht die Mitarbeiterin da etwas anderes als ich? Ich sehe nämlich ein 2-Euro-Stück und zehn 10-Cent-Münzen. Geld halt. Geld ist Geld. Man könnte meinen, da würden 3 Euro in 5-Cent-Münzen liegen. Aber selbst wenn. Auch hier ist Geld Geld. NO, das smol Geld nehme sie nicht. Sie wäre ja keine Tschänging-Maschine. Ich gucke mich um. Und kann nirgendwo ein Schild entdecken, auf dem möglicherweise die Münzen stehen könnten, die man hier annimmt. Weit und breit kein Hinweis. You want trinken or no trinken? Trinken? Money big! Die Dame vor mir ist leicht verzweifelt. Sie scheint, echt Durst zu haben. Aber zu viele Münzen. Kein Erbarmen. Die Frau muss weg. Mit ihren Münzen. Ohne Trinken. 

Letzte Woche war ich bei einem Amt. Einem sehr wichtigen. Mit lauter wichtigen Stempeln und vielen Türschildern, die auf lauter wichtige Menschen verweisen. Ich war zum dritten Mal da. Weil man mir die beiden Male davor, eine falsche Information mitgeteilt hatte. Ans Telefon geht den ganzen Tag keiner, also muss ich persönlich hin. Zum dritten Mal. Ich brauche unbedingt so ein wichtiges Papier. Ein bestimmtes. Gibt es nur in diesem Amt. Ich drehe also alles so hin, dass ich später zur Schule kommen kann und stehe um 8:25 Uhr vor der Tür, die ich benötige. Ich muss unbedigt die Erste heute sein. Sonst haut es in der Schule mit dem Vertretungsplan nicht hin. Um 8:28 Uhr guckt ein Mitarbeiter  aus der Tür und guckt mich verwundert an. Die Sprechstunde würde erst um 8:30 Uhr beginnen, ich solle doch noch einmal Platz nehmen. Nein, erkläre ich dem Herren. Geht nicht. Bei meinem dritten Besuch muss ich nämlich das Papier bekommen. Jetzt wirklich. Ich muss die Erste sein. Der Herr zuckt mit den Schultern. Nach weiteren 30 Minuten und zahlreichen wichtigen Menschen in lauter wichtigen Zimmern, sitze ich vor dem allerwichtigsten Menschen. Der zuckt eine Akte. Frau Wirbelwind? Neeein, Frau Feynberg bin ich! Oh. Eine falsche Akte, die er da in der Hand hält. Er bräuchte noch einmal meinen Personalausweis. Personalausweis? Aber den habe ich doch vorne abgegeben. Ah so, ja. Nach 45 Minuten und einem kleinen Nervenzusammenbruch verlasse ich das Amt. Endlich halte ich das Papier in der Hand. Die Verwaltungsgebühr muss ich natürlich trotzdem zahlen. Trotz der 100.000 Fehler, die alle möglichen wichtigen Menschen in diesem wichtigen Amt da gemacht haben.

Am Dienstag war ich bei einer Lesung. Einer sehr interessanten. Von einer sehr süßen und begabten Autorin. Neben mir saß ein Mann, der während der Lesung Quizduell auf seinem Handy gespielt hat. Alle fünf Minuten guckte er hoch und lächelte. Durchaus interessiert. Hä, denke ich, Typ, kannst du nicht zu Hause Quizduell spielen? Das wäre billiger für dich. Den Eintritt für die Lesung müsstest du dann nämlich nicht zahlen.

Und die Moral von der Geschicht': Kein Wunder, dass meine Schüler mir kein Wort glauben. Frau Feynberg ist nur Lehrerin. Sie hat kein Plan vom Leben, jaaa. Ich guckte mich also letzte Woche um. Mehr als mir lieb ist. Und merkte: ich habe wirklich keinen Plan vom Leben. Ich verlange nämlich von meinen Schülern Höflichkeit, Zuverlässigkeit, Pünktlich, Respekt und all die anderen schrecklichen Dinge, die so oft so wenig zählen.
Es ist die Welt da draußen, die mir Sorgen bereitet. Da gibt es zu viele Menschen, die respektlos, unhöflich sind und die ihren Aufgaben nicht so nachgehen, wie sie das sollten. Der Schüler, dem ich das alles beigebracht habe, geht also raus, raus aus der behüteten Schule und merkt: Ups, es gibt genug andere, die unhöflich, respektlos und unfähig sind. Und die alle kommen irgendwie im Leben weiter. Diese Werte, die ich also mühevoll versucht habe, diesen Jugendlichen beizubringen, spielen also plötzlich keine Rolle mehr. Gar keine. Denn es geht ja auch ohne. Und einfacher ist es auch noch.

4 Kommentare:

  1. Frau Feynberg!
    Keine Komplexe und keine Zweifel!
    Aber:
    Passen Sie auf. Sie sind Einzelkämpferin. Das ist nicht gut.
    Lieben Gruß.

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    1. Ich denke, ich werde hier falsch verstanden. Alle meine Kollegen verlangen von den Schülern dasselbe: Pünktlichkeit, Ordnung, Zuverlässigkeit, Höflichkeit,... Es ist nur die Welt da draußen, die mich stört. Ich bringe den Schülern das alles also bei. Die Schüler treffen aber auf Menschen, die weder höflich, noch respektvoll, noch fähig sind. Und sehen: Ups, die kommen ja auch irgendwie zurecht im Leben, die haben alle einen Job. Wozu brauche ich also all das, was Frau Feynberg mir beigebracht hat? Andere kommen ja auch ohne aus. Und zack, sind meine Worte nicht mehr viel Wert. In der Schule bin ich keine Einzelkämpferin. In unserer Gesellschaft schon.

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  2. Ich habe mir gestattet, aus Ihrem Artikel die letzten Sätze zu zitieren. Da meine Software kein Pingback unterstützt, hier das Link: http://fontanefan.blogspot.de/2014/03/blogparade-versager-im-staatsdienst.html

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