Montag, 23. Juni 2014

"Nix."

"Wenn du Liebe hast, spielt es keine Rolle, ob du Kathedralen baust oder in der Küche Kartoffeln schälst."
Dante Alighieri


Parthena ist ein sehr aufgewecktes Mädchen, sie lacht viel. Sie gibt die ordentlichsten Aufgaben ab, gestaltet mit vielen Farben. Sie ist hilfsbereit, pünktlich, absolut zuverlässig und ein bisschen durchgeknallt. Positiv durchgeknallt. Eigentlich die perfekte Arbeitnehmerin. Nur nicht in den letzten Wochen. Da tut sich was, in Parthenas Kopf. Die Lustlosigkeit nimmt zu, die Hausaufgaben ab und Lächeln mag sie auch nicht wirklich.

Seit zwei Wochen führen wir immer dasselbe Gespräch.
"Parthi, was ist los?"
"Nix."
"Ist etwas passiert."
"Nein."
"Sicher?"
"Jaaa, wie oft wollen Sie mich das noch fragen?"

"Parthi, ich mache mir nur Sorgen um dich."
"Ja und?"
"Wenn es ein Problem gibt, dann versuche ich dir zu helfen."
"Es gibt kein Problem. Lassen Sie mich einfach."
Wie gesagt, seit zwei Wochen. Immer dasselbe und kein bisschen Erfolg. Bis heute.

Es klingelt. Alle Schüler stürmen raus. Nur Parthi nicht. 
"Na?"
"Na?" antwortet sie lustlos.
"Frau Feynberg, können Sie nicht hier bleiben? Bei uns?"
"Ich würde gerne, dass wisst ihr ja. Aber es hat leider nicht geklappt..."
"Scheiße! So eine Scheiße!" ruft sie. Und ich erkenne ihr Temperament wieder.
"Parthi..."
"Ich bin so traurig, dass Sie gehen..."

Worte können allerhand beschreiben. Aber nicht das, was ich nach diesen Worten verspürt habe.

Dienstag, 17. Juni 2014

Heute ohne Zitat.

Menschen sind gemein. Und unpädagogisch. Muss man mehr Glück als Verstand im Leben haben? Beziehungen? Gutes Aussehen? Was muss man haben, um eine Chance zu bekommen? Braucht man nur Beziehungen? Ist es alles nur Zufall?
Bewerbungen schreiben macht keinen Spaß. Stundenlang. Wort für Wort. Komma für Komma. Das Wort an die Stelle oder lieber doch an den Anfang? Ein Bildchen? Welche Schrift? Etwas fett gedruckt oder doch lieber kursiv? Irgendwann sieht man nur noch Buchstaben, nur noch Satzzeichen. Irgendwann zweifelt man an der Schärfe der Brille und am eigenen Versand. Aber man schärft seinen Blick ein weiteres Mal, strengt die Gehirnzellen an. Vielleicht klappt es ja diesmal. Die Zeit rennt. Das Jobcenter naht. Jobcenter? Ich? Niemals! Diesmal muss es klappen. Die Stelle war wie für mich gemacht. Bewerbungsfrist schon längst vorbei. Da stimmt doch was nicht. Was sage ich gleich am Telefon, welche Worte sollte ich wählen? Ich lege mir Sätze zurecht und spreche doch andere aus. Mein Herz hämmert.
Wie heißen Sie? Hmm.. sagt mir jetzt nichts, der Name, müsste ich nachgucken. Aber eigentlich sind wir schon gut besetzt für das nächste Schuljahr. Und der Bewerbungsprozess ist auch schon durch. Komisch, sage ich, es hat sich doch keiner bei mir gemeldet, ich habe doch alle Voraussetzungen für die Stelle erfüllt, aber mich hat keiner angerufen. Nur nicht verzweifelt klingen, Lea! Oder doch? Gibt es ein Richtig oder Falsch? 
Aber ja... hmm... ich melde mich bei Ihnen, sagt sie. Sehr freundlich. 
Ich fühle mich wie der letzte ungelernte Bauarbeiter und spüre die salzigen Tränen auf meinem Gesicht. 
Gleichzeitig fühle ich mich menschlich. Jedem Schüler eine Chance geben, jeden gleichwertig behandeln. So muss es sein, denke ich und bin mir sicher, dass es mir bisher ganz gut gelungen ist. Und schwöre mir, dass ich nie mit Schülern so umgehen werde, wie man gerade mit mir umgeht.
Eine E-Mail. Eine weitere Absage. Sehr interessante Bewerbung, die ich da geschrieben habe, steht da. Vielleicht sieht man sich ja eines Tages im Berufsleben und arbeitet miteinander. Nur nicht diesmal. Die Tränen nehmen kein Ende.

Freitag, 6. Juni 2014

Ist ein Dutt typisch Lehrer?

"Wenn es nur eine Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über dasselbe Thema malen."
Pablo Picasso

Mrs. Smith und ich sitzen im Café. Nach unserem Arbeitstag. Absolut verdient.
Neben uns sitzt ein Mann. Und eine Frau. Sie unterhalten sich ziemlich angeregt. Das Thema muss äußerst spannend sein. Und weil wir heute schon so viel geredet haben, Mrs. Smith und ich, hören wir gerne zu. Sehr unauffällig natürlich. Das allerdings, nachdem wir die beiden Gestalten möglichst genau beobachtet haben.
Er ist so um die 50. Ganz strenger Blick, keine Mimik. Braune Cordhose, blauer V-Ausschnitt-Pulli, braune Wildlederschuhe. Und jetzt kommt es: gelbe Socken. Ah ja und eine Hornbrille, eine ziemlich moderne. Insgesamt ist der Typ ziemlich modern. Aber auch irgendwie abstrakt mit seinen farbenfrohen Socken. Sieht bisschen Picasso ähnlich. Nein, eher seinen Bildern. So eckig-abstrakt. Sein Gesicht hat nichts Weiches. Nichts. Die Frau neben ihm ist genau das Gegenteil. Aber auch um die 50. So stinknormal. Die Sekräterin von nebenan. Oder auch Postbeamtin. Im Kostümchen und mit Schirmchen. Auch sie lächelt kaum. Wie die beiden wohl zueinander gefunden haben... Interessant. Wir hören also zu.

"Lehrer. Die sind alle so typisch. Lehrer. Alle gleich."
Ich gucke an mir runter. Rosa Nikes, langer Rock, pinke Fingernägel, zwei Zöpfe, ein blauer und ein grüner Haargummi. Daneben Mrs. Smith. Absatzpumps. Schwarze Hose. Offene Haare. Bunter Nagellack. Zwanzig Jahre zwischen uns. Ich mit Brille, sie ohne. Sind wir beide so typisch? Typisch Lehrer? Weder sie noch ich haben einen Dutt. Ist ein Dutt typisch Lehrer?
Die gelbe Socke fährt fort: "Mit Lehrern würde ich gar nicht klar kommen, die sind so anstrengend. Die haben immer Recht! Versuch mal mit denen zu diskutieren. Geht G.A.R.  N.I.C.H.T."
Schirmchen nickt. Und hört aufmerksam zu. Oder tut so als ob.
"An Lehrer würde ich N.I.E.M.A.L.S vermieten. N.I.E.M.A.L.S. Die hocken doch sowieso den halben Tag zu Hause und suchen nach Fehlern in der Wohnung."
Das ist ja spannender als wir gedacht hatten! Ob wir immer Recht haben, ob wir immer alles besser wissen. Den halben Tag zu Hause sitzen, trifft schon mal nicht zu. Was sind denn das für altbackene Vorurteile?! Ich hätte mich vorstellen sollen: "Hallo, Herr gelbe Socke, wir spielen jetzt ein Spiel. Erraten Sie doch meinen Beruf." Wird bestimmt ganz einfach, der Herr erkennt sicherlicher jeden Lehrer auf diesem Planeten S.O.F.O.R.T.
Wir hören noch ein Weile zu und überlegen dann, ob wir gleich im Café oder erst zu Hause kotzen möchten. Wir entscheiden uns für die vertrauten vier Wände. Da kotzt es sich irgendwie angenehmer. Und bewegen uns wieder Richtung Schule. 
Im Lehrerzimmer wird die gelbe Socke bestätigt. "Klar", sagen die Kollegen, "Lehrer sind gaaaanz unbeliebte Mieter. Sogar noch vor Juristen. Wusstest du das nicht?" Nein, noch nie gehört.
Am Abend sagt mein Mann: "Wegen dir kriegen wir also keine Wohnung in Hamburg?" Wenigstens grinst er dabei. Eine gewisse Mimik im Gesicht wirkt wirklich sehr beruhigend auf mich.